Ein paar Gedanken dazu aus verschiedenen Blickwinkeln, die nach und nach das Bild verzerren. ABER so kommt mein Eindruck am besten zum Ausdruck.
“Ein liebender Mann” hat in der Liebe die Rosa-Rote-Brille an, die Hormone spielen verrückt, der logische Verstand wird ausgeknipst, läuft somit nur noch auf Notbetrieb, die Außenwelt wird nicht mehr wahrgenommen, und die Konzentration liegt nur auf das Objekt der Begierde. Ich denke sogar, dass dieser Vorgang bei Männern, wenn sie denn lieben, viel stärker ausgeprägt ist, als bei uns Frauen, die doch noch mit mehr Verstand an dieses Projekt heran gehen.
Und dieser hormonübersprühende Zustand wird hier von Walser in einer ganz wunderbaren Weise beschrieben: Zu Beginn stockt einem der Atem, Schmetterlinge im Bauch, alle Gedanken auf das DU, die Vereinigung aus Zwei mach Eins, ein Geist, ein Gedanke, ein Körper. Doch dann das Leid, Ulrike oder deren Mutter wählt die bessere Partie, Liebesleid und Liebeswahn, aus Liebe wird Hass, Zerstörungswut und Aggression, Verzweiflung, und dann der Weltenschmerz …
Sehr romantisch und verschnörkelt erzählt uns Walser diese Begebenheit, tausendmal erlebt, uralt und immer wieder neu.
Aus fremder Sicht sind diese liebenden Menschen einfach nur peinlich, sie hören dir nicht mehr zu, bekommen ihre Umwelt nicht mehr mit, und reagieren höchst merkwürdig in vielerlei Beziehungen. Mit Liebenden ist es schwer umzugehen, die lässt man besser unter sich!
Wenn man dann den Altersunterschied mitberücksichtigt, den Blickwinkel auf den pubertierenden Greis legt, wird diese Situation absolut peinlich. In den Augen der Gesellschaft kann das nicht angehen. Ein Unterschied von mehr als 50 Jahren, das ist völlig absurd, und wird auch nicht akzeptiert. Zu Recht wie ich meine.
Der Protagonist erkennt trotz Verblendung seine Lage, denn es ist ja nicht irgendwer, nein es handelt sich um den hochintelligenten Goethe, der dieses Leid am eigenen Körper erlebt und durchlebt hat. Warum?
Walser hatte dieses Thema in seinem vergangenen Roman “Angstblüte” schon einmal aufgegriffen. Die weibliche Leserschar fand dieses Werk geschmacklos, durchweg liest man äußerst kritische Stimmen dazu. Es ist mehr oder minder ein Flop gewesen.
Benutzt er nun den großen Goethe um sein Werk zu rechtfertigen? `Seht an, ihm erging es ebenso.`
Dass Walser nicht davor zurückschreckt Polemik in seinen Büchern zu verarbeiten, sieht man an den “Tod eines Kritikers”. Generell verträgt diese Persönlichkeit keine Kritik, auch wenn sie ganz vorsichtig von einem sehr sympathischen Stefan Zweifel angebracht wird. Der Autor könnte dann explodieren!
Mit diesen Betrachtungen stehe ich nun sehr hilflos dem Werk gegenüber. Das Brillante erkannt, und dennoch nicht überzeugt.
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