Zum Buch:
Untrennbar miteinander verbunden sind bei Orhan Pamuk die Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend mit den Erinnerungen an die Stadt Istanbul. Essay, Autobiographie in einem, gut begleitet von zahllosen teils wunderbaren Photos, auch aus Autorenhand.
Zum Autor:
Geboren wurde Pamuk 1952 in eine wohlhabende Großfamilie hinein. Zwar kommt es später zu mehreren Wohnungswechseln innerhalb der Viertel (und einem Aufenthalt in den USA), doch bleibt er der Stadt eng verbunden. Im Laufe der Jahre verliert die Familie ihren Reichtum. Sie ist der Tradition Atatürks folgend dem Westen hin offen und Orhan wächst mit westeuropäischen Autoren auf; besucht ein englischsprachiges College. Er wollte zunächst Maler werden, musste sich aber zunächst auf ein Architekturstudium einlassen. Später wechselte er und erwarb einen Abschluß als Journalist, arbeitete aber schnell als freischaffender Schriftsteller.
2005 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2006 den Nobelpreis für Literatur.
Einige Eindrücke:
Mich fasziniert zunächst die einfache Frage: Wie erlebt jemand seine eigene Stadt, welchen Blick wirft man auf sie? Wie stehe ich im inneren Dialog zu den Strassen, Orten, Ruinen? Woher kommt eigentlich dieser Orhan Pamuk, der nun nach dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels auch den Nobelpreis erhalten hat und dessen Buch „Schnee“ ich begeistert gelesen habe? UND mich interessiert auch, wie sich denn nun (nach Einschätzung des Autors) Istanbul und die Türkei befinden bzw. wo sie denn stehen.
Ich habe wohl nie von einer solchen Verflechtung zwischen Identität, eigenem Werden und Empfinden, Aufwachsen UND dem Herkunftsort, der Stadt gelesen. So ist dieses Buch sicherlich geeignet, Orhan Pamuk kennen zu lernen, der sich sehr persönlich äußert, aber gleichzeitig und untrennbar davon auch etwas von jener Atmosphäre Istanbuls zu erahnen, die sich auf ihre Einwohner auswirkt, so sehr, dass das Erzählen über die Stadt immer auch ein Erzählen von sich selbst ist und das Erzählen von sich selbst immer auch ein Erzählen über die Stadt.
Istanbul erscheint als Stadt mit einer großen Vergangenheit (ottomanisches Reich) aber wie am Ende einer Epoche, Zivilisation. Die sichtbaren Ruinen, eine Art Nostalgie jener Zeit prägen das Heute. Dies nennt Pamuk die „Melancholie der Ruinen“. In dem Zusammenhang taucht immer wieder ein typisch türkischer Begriff auf „hüzün“: eine Art gemeinschaftlich erfahrener Schwermut. Diese Beobachtungen erinnerten mich so sehr an vielleicht ansatzweise ähnliche „Gemüter“, in Portugal, Russland...
Dieses Buch ist nicht ein Reiseführer für einen Zweitagesaufenthalt in Istanbul. Doch wer vielleicht schon dort war, oder aber das Land und das Empfinden der Einwohner besser kennen lernen will (eventuell ja auch einfach Pamuk selbst), findet in diesem Buch eine sehr schöne Einführung und Vertiefung.
Mir ging öfters durch den Kopf, wie sehr dieses Buch gerade für Menschen im Kontakt mit türkischen Menschen, oder für ein besseres Verstehen des Gemüts interessant wäre. Angesichts der Frage der Nähe oder Ferne der Türkei zu Westeuropa, bzw. der Mitgliedschaft in der EU bieten die Gedanken von Pamuk viel Stoff...
Immer interessant zu lesen, wenn auch eventuell ein bisschen zu lang.
:stern::stern:
(aber ich vergebe ja gerne Sterne...; es ist keine ganz einfache Lektüre und ich hörte auch schon, das es zu langweilig wird. Kommt wohl drauf an, was man sucht!)
Gebundene Ausgabe: 432 Seiten
Verlag: Hanser; Auflage: 1 (18. November 2006)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3446208267
ISBN-13: 978-3446208261
Diese noch recht neue gebundene Ausgabe ist deftig teuer. Vielleicht gibt es schon bald eine TB-Ausgabe?
Ich las die englische Ausgabe und kann nichts über die deutsche Übersetzung sagen. Zumindest die amerikanische Ausgabe wäre wesentlich billiger:
Istanbul: Memories and the City (Paperback)
by Orhan Pamuk
978-1400033881