Ich empfinde dieses Buch auch als sehr beeindruckendes Zeitdokument. Zweig beobachtet die Zeitspanne von den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges und schildet seine Gedanken, Gefühle, Ängste und Ahnungen. Es sollte dennoch betont werden, dass die Dinge aus seiner Sicht und seiner Schicht - und das ist die gehobene - geschildert werden. Ob es ein Abbild des realen Lebens ist, wage ich zu bezweifeln.
Besonders das doch sehr gegensätzliche Europa rund um die Jahrhundertwende hat mich sehr beeindruckt. Das dekadente Wien steht einem fortschrittlichen London, einem lebensbejahenden Paris gegenüber. Der Zerfall des Kaiserreiches, der eigentlich schon vorauszuahnen war doch woran niemand denken wollte wird ebenso geschildert wie die nationalsozialistischen Strömungen ab Mitte der 20-er Jahre.
Das Buch trägt viele autobiografische Züge, schildert doch Zweig aller Erinnerungen aus seinem Gesichtsfeld. Als Kosmopolit war er in ganz Europa zuhause, seine Reisen führten ihn auch nach Indien und Amerika. Beeindruckend mit wie vielen namhaften Persönlichkeiten aus Kunst, Politk und Kultur Stefan Zweig verkehrte.
Dennoch fließen nur wenige persönliche, private Dinge in das Buch ein. Ich bedaure es etwas, denn ich hätte sehr gerne erfahren, wie Zweig zu seiner schriftstellerischen Tätigkeit stand, welche Beweggründe ihn veranlasst haben. Auch sein privates Leben bleibt im Dunkeln.
Ich kann mich dem Eindruck nicht erwehren, dass es sich bei Stefan Zweig doch um einen sehr eigenen, vielleicht ein bisschen selbstverliebten und auf sich eingebildeten Menschen handelt. Er wird nicht müde zu betonen, wer nicht alles zu seinen Freunden zählt (von Siegmund Freud über Romain Rolland, Richard Strauss, Rilke, Schnitzler, Andre Gide, James Joyce, die damals berühmtesten Schauspieler, Theaterdirektoren, usw.).
Alles in allem aber ein absolut empfehlenswertes Buch für ein besseres Verständnis dafür, warum das Europa von heute so aussieht, wie es aussieht!