Ferdinand von Schirach: Verbrechen
Ein Berliner Anwalt schreibt Krimistories. Schreibt er nun über seine eigenen Fälle? Das darf er nicht, weil auch ein Anwalt an dem Paragraphen der Schweigepflicht gebunden ist. Ähnlich, wenn Psychologen über ihre Klienten schreiben, Personen u.a. verfremden müssen, um nicht straffällig zu werden. Außerdem, hier geht es um stories. Eine eins zu eins Übertragung von Realem zur Literatur gibt es nicht. Die stories mögen auf realen Fälle basieren, genug Spielraum für Fiktion bleibt aber bestehen. Dass Fiktion am Werke ist, sieht man auch daran, dass einige stories nach gleichem Schema ablaufen: Das Verbrechen, wie ist es dazu gekommen, die Justiz, oft auch ein überraschendes Ende, ein verblüffender Plot.
Der Leser wird mit unheimlich brutalen Morden konfrontiert, die ohne weiteres aus einem billigen Horrorfilm stammen könnten, aber auch hier bewahrt von Schirach seine stringente lakonische Erzählweise, die mich sprachlos zurücklässt. Vielleicht pervers ausgedrückt, aber so ein Glanzstück von Brutalität in der Literatur ist die Szene auf dem U-Bahnhof in der Geschichte „Notwehr“. Diese story ist sowieso sehr interessant, weil hier nichts nach Schema F abläuft. Wir erinnern uns an eine Nachrichtenmeldung über zwei U-Bahn-Schläger, die einen alten Mann krankenhausreif geschlagen haben. Schirachs Erzählung läuft völlig anders ab, am Schluss ich den Verdacht habe, Schirach könne zwei Fälle zu einer story gemixt haben. Wie anders die Geschichte um den Äthiopier, der eine Bank ausraubt, eine Bankangestellte mit dem Räuber Mitgefühl hat.
Aus der Form einer story fällt Schirach allerdings völlig heraus, wenn er in seinen Geschichten selbst als Fachjustitiar auftritt, entweder als Mitbeteiligter oder als Überbringer von Juristenfachwissen an den Leser. Dieser Fakt schmälert. Das Buch ist ein Pageturner. Die stories sind auf momentanen Unterhaltungswert aufgebaut. Um mich an einige Geschichten wieder zu erinnern, musste ich nach der Lektüre noch mal zurückblättern.
Liebe Grüße
mombour