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Dostojewski, Fjodor - Dämonen




Dostojewski, Fjodor - Dämonen

Beitragvon Krümel » 10.05.2012, 10:52

Mit den Dämonen sollte es wieder zur Versöhnung zwischen mir und Dostojewski kommen. Denn nach dem ich vor Jahren den „Idioten“ gelesen hatte, habe ich einen weiten Bogen um diesen Autor gemacht. Ich konnte mit der Figur des Fürst Myschkin so überhaupt nichts anfangen, zudem empfand ich die ganze Handlung als sehr übertrieben und diesen Messias als eher misslungen. Kürzere Prosa stimmte mich dann wieder auf Dostojewski ein („Die Sanfte“ und „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“). Jetzt las ich die „Dämonen“:

>> Ein Leben verging, und ein zweites begann; dann verging auch das zweite, und es begann ein drittes, und keines hatte einen rechten Abschluss. Der Abschluss war immer wie mit einer Schere weggeschnitten.<<

Im ersten Teil beschreibt der Autor die handelnden Figuren des Romans. Es fällt auf, dass der lebhafte Dialog, eigentlich ein Kennzeichen von Dostojewski, kaum verwendet wird. Und so wird der Leser ganz langsam (mancher würde es als schleppend empfinden) in die Handlung getragen. Die Hauptfigur im Roman ist Stepan Trofimowitsch Werchowenski, er ist vom Charakter dem Fürst Myschkin schon sehr ähnlich. Er treibt sein Unwesen als Liberaler im Haus der Witwe Warwara Petrowna Stawrogina mit ihrem Sohn Nikolai Stawrogin. Lebt auf deren Kosten, ist ein Träumer und versperrt sich gegen den Zeitgeist, den Stawrogin schon längst überwunden hat. Zurück bleibt bei Nikolai eine auffallend äußere Überheblichkeit gegen jegliche Gefühlsform und Gesinnungen. Stepan drückt also das Gestern und Nikolai das Übermorgen aus, das Heute kommt mit der Figur Pjotr Stepanowitsch Werchowenski ins Spiel und versetzt mit seiner nihilistischen Überzeugung die kleine Provinzstadt in Schrecken. Zum Schluss wird gemordet*, gelyncht und gestorben. Somit ist der Roman wie bei einem Drama in die drei Akte unterteilt.

*>>Bei dieser wahren Begebenheit wurde auf Veranlassung des skrupellosen Nihilisten Sergei Netschajew ein junges Mitglied seiner Gruppe, der Student Iwan Iwanowitsch Iwanow, von seinen Kameraden ermordet.<< (Quelle: wiki)

Das Ende des Buches empfand ich auch bei den „Dämonen“ als ein wenig zu „schmalzig“. Der Tod von Stepan Trofimowitsch wurde viel zu ausführlich beschrieben und in einem gewissen Tonfall, den ich als weinerlich empfinde, der des Nikolais war dann die Krönung, und beide hintereinander haben für mich persönlich den Roman gekippt.

Interessant im Buch finde ich die Auseinandersetzung mit dem Glaube, und so hat zum Beispiel die Figur Kirillow das Problem, eine innere Polarisierung, ein Gefühl, dass es ohne Gott auf der Welt nicht geht, weil der Mensch Mensch ist, und von seiner Logik her, vom Verstand, dass es eben keinen Gott gibt. Dieser Widerspruch, die innere Zerrissenheit, führt dazu, dass Kirillow sich umbringen will und muss, denn er sieht nur diese Möglichkeit aus diesem Dilemma zu entkommen und der Welt etwas auf zu zeigen.

Bei Stawrogin erfährt man während der Lektüre, dass er eben nicht nur gleichgültig und überheblich ist, sondern innerlich fast zergeht und zerfressen wird von seiner Reue.

>> Was das Verbrechen selbst anlangt, so sündigen auch viele andere in gleicher Weise, leben aber mit ihrem Gewissen in Ruhe und Frieden und halten das sogar für unvermeidliche Fehltritte der Jugend.<<

Überall spiegelt sich eine gewisse Diskrepanz zwischen Verstand und Gefühl/Glaube. Im Buch wird das mit Europa gegen Russland veranschaulicht, oder eben mit Atheismus und Frömmigkeit, oder mit den Figuren Stawrogin und Kirillow als Ganzes gezeigt. Das macht den Roman sehr aktuell, zeigt die große Sinnsuche, die historisch sowie gesellschaftlich gestützt wird und auf das 21. Jahrhundert durchaus übertragbar ist.

>> Der völlige Atheismus ist ehrenwerter als die weltliche Gleichgültigkeit …<<

Persönlich hat mich dieser Roman nicht so ganz versöhnt. Ich würde weiterhin behaupten, dass mich Tolstoi eher erreicht als Dostojewski, weil ich einfach diese klagende wehleidige Gefühlsduselei nicht besonders gut vertrage.

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Bewertung: :stern: :stern: :stern: :stern:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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