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Frisch, Max - Stiller




Frisch, Max - Stiller

Beitragvon Krümel » 31.10.2011, 10:34

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Die große Identitätskrise oder die Verurteilung zum Ich ohne Wandlungsmöglichkeit!

„Einer“ wird in der Schweiz verhaftet, da er „Stiller“ sein soll und irgendetwas auf dem Kerbholz (Spionage oder so) haben soll. Was allerdings unwesentlich ist, vielmehr dass dieser Einer fortwährend diese Identität abstreitet. Nun sitzt er in Untersuchungshaft und alle, der Verteidiger (dieser spricht ihn gleich mit „Stiller“ an – Situationskomik pur), der Staatsanwalt und gar seine Frau, Schwager, seine Freunde, sein Vater, alle lassen nicht davon ab, dass „Einer“ „Stiller“ ist. Nur dieser streitet das vehement ab, erzählt Geschichten über Geschichten, nennt sich Mr. White und schreibt den ersten Teil des Buches nieder.

>>… - diese Unmöglichkeit ist es, was uns verurteilt, zu bleiben, wie unsere Gefährten uns sehen und spiegeln, sie, die vorgeben, mich zu kennen, sie, die sich als meine Freunde bezeichnen und nimmer gestatten, daß ich mich wandle, …<<

Der Leser ist zunächst verunsichert, möchte er doch als neutraler Leser nicht diesen Fehler begehen und sieht den Verlauf der Handlung eher skeptisch. Später neigt man dann auch zu der Annahme, dass „Stiller“ „Stiller“ ist, aber es gibt auch immer wieder Situationen, bei denen man wieder zweifelt – was den Figuren im Buch nie in den Sinn kommt – wenn beispielsweise ein Zahn vorhanden ist, der gar nicht mehr vorhanden sein sollte.

Eindeutig wird die Identität nicht geklärt, aber spielt das eine große Rolle?

Im Buch geht es in der Hauptsache um die Beziehung zwischen Stiller und Julika. Fasziniert von diesem zarten blassen Wesen mit dem roten Haar, heiratet Stiller seine Göttin. Auch sie ist ihm still ergeben, aber das große Glück der Beiden bleibt aus. Sie erkrankt an Tuberkulose, muss in die Berge zu einer Kur, und er verlässt sie.
Als Begründung für diese Handlung wird immer wieder der Spanische Bürgerkrieg in der Vordergrund geschoben, in dem Stiller seine Pflicht nicht erfüllt und die „Feinde“ nicht erschossen hat. Schuldkomplexe tun sich auf und er ergreift die Flucht nach Amerika. Er bleibt sieben Jahre weg und nun hat man „Einen“ gefasst, der wie „Stiller“ aussieht.

Und es spielt doch gar keine Rolle, ob „Einer“ „Stiller“ ist oder nicht! Fakt ist doch, falls „Stiller“ „Stiller“ ist, hat er diese Identität abgelegt, oder er wünscht es sich diese Identität ablegen zu können, weil er damit nicht mehr leben wollte und konnte. Natürlich hat „Stiller“ dann eine Identitätskrise, wenn er „Stiller“ ist. Aber dies wird von außen nicht erkannt, geschweige akzeptiert. Einzig von Rolf dem Staatsanwalt, doch das klärende Gespräch wird erst geführt als Stiller zu Stiller verurteilt wird, damit leben muss und alles von vorne beginnt.

>>Sie (Julika und alle anderen) kann ihn nicht aus dem Bildnis befreien, das sie von ihm gemacht hat – dadurch steht sie auf der Seite der Gesellschaft und nicht auf der Seite ihres Mannes.<< (Wiki zu „Stiller“)

Ein beeindruckendes Werk, welches mir von den bisher gelesenen Büchern von Frisch („Homo Faber“, „Mein Name sei Gantenbein“ und „Der Mensch erscheint im Holozän“) am besten gefallen hat.

Bewertung: :stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Re: Frisch, Max - Stiller

Beitragvon Krümel » 31.10.2011, 10:35

War das wirklich noch nicht hier? Ich hab´s nicht gefunden :grübel2:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Re: Frisch, Max - Stiller

Beitragvon Katia » 01.11.2011, 23:22

Bei mir ist das so lange her (ca. 1995), dass ich "Stiller" gelesen habe, da gibt's bestimmt keine Rezi von mir hier :-) Hat mir damals sehr gut gefallen, aber es ist einfach zu lange her, um jetzt etwas Substantielles darüber sagen zu können.

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