Kann die pure Vorstellung Wirklichkeit werden?
England kurz vor den Ausbruch des 2. Weltkriegs auf dem Landsitz der Familie Tallis kämpfen die Bewohner des Guts mit einer unerträglichen Sommerhitze.
Emily Tallis bemerkt schon am Morgen, dass sich ihr Dämon meldet, und dass sie diesen Tag in der Dunkelheit ihres Zimmers verbringen sollte. Die Mutter, der drei Kinder des Romans, leidet an extremen Migräneanfällen, die sie oft dazu zwingen ihre Kinder, vor allem Briony die Jüngste, unbeobachtet zu lassen.
Briony möchte Schriftstellerin werden ihr neuestes Werk soll am Abend zur Feier des Tages, da ihr Bruder heimkehrt, aufgeführt werden. Der Besuch ihrer Kusine nebst ihren Zwillingsbrüdern kommt da gerade recht, sie werden direkt zu Darstellern in ihrem Stück auserkoren.
Die jüngste Tallis ist ein sehr aufgewecktes dreizehnjähriges Mädchen, welches genau „weiß wie die Welt funktioniert“. Den entscheidenden Punkt liefert an jenem heißen Tag eine Begegnung ihrer Schwester am Brunnen mit dem Sohn der Putzfrau, Robbie. Es kommt zu einer Auseinandersetzung der zwei, wobei sich Cecilia bis auf die Unterwäsche entkleidet und in den Brunnen springt. Danach verlässt ihre ältere Schwester den Schauplatz und zurück bleibt eine Wasserlache auf dem Boden, die sich allerdings bald verflüchtigt und nicht mehr sichtbar ist.
Mit diesem Ereignis im Gedächtnis vollzieht sich bei Briony eine fatale Wandlung in ihrer Vorstellungskraft. Ihre bunten Kindermärchen sind ihr plötzlich zu infantil, es wird auch nicht zur Theateraufführung kommen, die Irrungen und Wirrungen der Erwachsenen nehmen einen zu großen Einfluss auf ihr kindliches Gemüt, so dass sich am Ende des Tages für sie alles wie von selbst zusammenfügt.
McEwan schreibt diesen verhängnisvollen ersten Teil, der die Hälfte des Buches ausmacht, aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Der Reihe nach werden die Geschichten und Gedanken der Figuren vorgestellt, allerdings mit einer sehr großen Distanz, so dass zu der Hitze eine noch größere Kühle hinzukommt. Es liegt etwas in der Luft, was zu einem großen Unglück führt, doch der Autor nimmt sich sehr viel Zeit und lässt die schwere des Tages voll zum Ausdruck kommen. Düster und verkühlt ist dieser Abschnitt und erinnert dadurch ein wenig an die Atmosphäre in „Sturmhöhe“. Und genauso süchtig wie der Leser Emily Bronte liest, verfällt er auch in McEwans „Abbitte“ ersten Teil.
Was der Autor danach zu Papier bringt ist im Gegensatz zu dem davor nur noch eine gewollte Zusammenführung der Handlung. Das ganz kunstvoll gefertigte Kartenhaus fällt nach der Hälfte des Romans in sich zusammen und hinterlässt nur noch einen bitteren Beigeschmack.
Auffallend ist noch die Konstellation im zweiten Teil, in dem Robbie durch die feindliche Stellung zurück nach England flüchtet. Der Krieg ist ausgebrochen, doch der Leser vermag nicht heraus zu lesen was schrecklicher ist: Der Krieg oder die persönliche Situation?
Mir hat der erste Teil des Buches sehr gut gefallen. Nach dem man sich an die Kälte gewöhnt hatte, fühlte man sich herrlich von ihr umarmt und aufgefangen, bis der Autor seine Strategie wechselte und es zu einem enormen Bruch kam. Damit zerstört McEwan sein eigenes Werk.
Ian McEwan wurde 1948 in Großbritannien geboren. Er verlebte seine Kindheit u. a. in Singapur und Libyen, bevor er in ein englisches Internat kam und dort später Englische und Französische Philologie zu studieren. Sein Romandebüt „Der Zementgarten“ machte ihn bereits 1978 zu einem der besten Autoren der englischen Gegenwartsliteratur.
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