Originaltitel: I know this much is true
Inhalt:
Dominick (Domenico) und Thomas sind eineiige Zwillinge. Sie wachsen in den 50er Jahren im Norden der USA auf, ohne zu wissen wer ihr Vater ist. Ihre Mutter schweigt bis zu ihrem Tod zu diesem Thema und was die Jungen als Vaterfigur erleben (ihren cholerischen Stiefvater Ray), macht entweder stark oder zerbricht den Geist. Dominick entschließt sich früh, einen Schutzwall um sich aufzubauen, während Thomas dies nicht gelingt.
Im Jahr 1969 verändert sich Thomas. Seine Schizophrenie ist der Auftakt zu einem Leben mit Ärzten, Diagnosen, Medikamenten. "Früh am Morgen beginnt die Nacht" ist nicht nur die Geschichte von Dominicks Versuchen, sich um Thomas zu kümmern, sondern auch ein Ausflug in die Vergangenheit der Familie.
Anmerkungen:
Der Roman beginnt auf einer Gegenwartsebene, driftet dann in die Vergangenheit ab, um wenig später eine zweite, spätere Gegenwartsebene einzuführen. Ausschlaggebend für diesen zweiten Erzählstrang ist Thomas Birdseys Opfer:
er betritt eine Bibliothek, setzt sich in eine Leseecke und amputiert seine eigene Hand, um gegen die "Operation Wüstensand" zu protestieren und das amerikanische Volk aufzurütteln. Aufgrund dieser Aktion wird er nach einer Notoperation polizeilich abgeführt und in die forensische Klinik "The Hatch" eingewiesen. Sein eineiiger Zwillingsbruder Dominick kämpft gegen diese - seiner Meinung nach - polizeiliche Willkürtat an, hat er doch seiner Mutter auf dem Sterbebett vesprochen, auf seinen Bruder aufzupassen. Sein großes Ziel ist es, Thomas wieder in einer liberaleren Einrichtung unterzubringen. Die Begegnung mit Thomas neuer Psychiaterin Dr. Patel wird auch für Dominick eine Art Therapie und zwingt ihn, sich mit der Vergangenheit und den eigenen Gefühlen auseinander zu setzen. Dass es bei ihren Gesprächen nicht nur um die Beziehung zwischen den Brüdern handelt sondern auch um die erschreckende Familiensituation während ihrer Kindheit und Pubertät, Dominicks Wunsch ein eigenständiger Mensch zu werden und seine Beziehungen zu Frauen, versteht sich hoffentlich von selbst. So entsteht ein vielschichtiges Geflecht.
Angenehm finde ich, dass nicht zu häufig zwischen den Zeitebenen gesprungen wird. Somit ist immer genügend Zeit, sich neu zu orientieren. Innerhalb der ersten 500 Seiten erfährt der Leser Thomas und Dominicks Lebensgeschichte bis 1969- dem Sommer, in dem beide 20 Jahre alt sind und Thomas Krankheit unübersehbar wird. Die restlichen 500 Seiten schildern dann vermehrt das Leben mit der Krankheit. Spät im Buch kommt ein weiterer Themenstrang dazu, als die Lebensgeschichte des Großvaters eingeführt wird, die Thomas heftig abstößt. Der von seiner Mutter verehrte Vater zeigt sich in seiner eigenen Lebensdarstellung als altmodisch und grausam. Unliebsame Parallelen zu Dominicks Erfahrungen mit Ray aber zum eigenen Verhalten werden hierbei sichtbar.
Fazit:
Das Buch ist überaus liebevoll geschrieben. Gerade Dominicks widersprüchliche Gefühle gegenüber seinem Bruder machen ihn glaubwürdig. Insgesamt zieht sich das Thema "Ambivalenz" durch den gesamten Roman - egal um welche Beziehungsgeflechte es sich handelt. Mir hat das sehr gut gefallen! Die Personen sind vielschichtig, die Verflechtungen ebenfalls. Insgesamt war es für mich eine runde Sache. Statt eines Heldens, der tapfer und untadelig erst mit der sehr ausgeprägten Sensibilität des Zwillingsbruders und später mit der Krankheit umgeht, wird Dominick vom Autor gestattet, sowohl Liebe, Anhänglichkeit und Verantwortungsgefühl für Thomas zu empfinden, ABER AUCH egoistische Handlungen, Schwäche, Unverständnis und Ablehnung zuzugeben. Die Suche nach der eigenen Identität ist ein schwerer und steiniger Weg...
Sehr empfehlenswerte Unterhaltungsliteratur mit der einen oder anderen Überraschung!
Ich habe diese Ausgabe gelesen, die allerdings vergriffen ist:
Diese beide Ausgaben sind noch lieferbar: