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Chessex, Jacques - Der Vampir von Ropraz




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Chessex, Jacques - Der Vampir von Ropraz

Beitragvon mombour » 20.03.2010, 08:42

"Der Vampir von Ropraz"

Bild

Wie in dem Roman „Ein Jude als Exempel“ wird auch hier eine historische Greueltat als Romanvorlage gewählt. Im Jahre 1903 wird im Dorf Ropraz im Kanton Waadt die Leiche der zwanzigjährigen Rosa Gilliéron aus der Grabesruhe gerissen, brutal verstümmelt und geschändet. Der Täter hinterläßt auf dem Friedhof ein Bild des Schreckens, ein Monster muss hier in blinder Wut gewütet, sich sexuell entladen haben. Ein Bild des Grauens fährt durch das Dorf, Zeitungsmeldungen gehen um die Welt und schnell ist der Vampir in aller Munde. „Der Vampir von Ropraz“, so wird das Unwesen genannt. Die Dorfbevölkerung setzt die Ermittler unter Druck, dieses Monster dingfest zu machen, denn es gibt im Umkreis weitere Leichenschändungen. Die Polizei findet ein Opfer, dass für die Untaten des Vampirs strafrechtlich belangt werden soll.

Ropraz, ein kleines hinterwäldlerisches Dorf im Sumpf von Aberglauben, Hexerei und Geisterbeschwörung, im Sumpf von Sodomie und Inzest – kein Wunder, dass hier ein Vampir wütet. Dieses Dorf, so wird es vermittelt, weitab von der Zivilisation. Ein Dorf für sich.

Chessex hat geschrieben:Inzest und dumpfes Brüten, im zölibatären Schatten, des ewig begehrten und verbotenen Fleischlichen.
Der sexuelle Notstand...gesellt sich zur umherstreifenden Angst und der Vorstellung vom Bösen.


Es ist herrlich wie Jacques Chessex in den Roman einsteigt und die schaurig-mystischeAtmosphäre des Ortes einfängt und das vampirische Grauen zeichnet. Das berechtigt durchaus die Genrezuteilung des Schauerromans. Der vermeintliche Täter gefunden wird, der Roman schwächelt leider, je weiter er fortschreitet, denn die schaurigschöne Düsternis – Bram Stoker hätte sich gefreut – geht mehr und mehr flöten. Die Schlusswendung überrascht, aber was nützt das, wenn das Schaurige dieses Schauerromans schon längst abgeklungen ist.

Ropraz heute noch hinterwäldlerisch? Das Motto des Romans weist schreckhaft darauf hin, eine Öffentliche Bekanntmachung der Gemeinde Ropraz am 12. Januar 2006:

Nicht wählbar sind:
Bürger, die Wegen Geisteskrankheit oder
Geistesschwäche entmündigt wurden.


Warum muss man so etwas extra erwähnen? Das ist das Seltsame.
Jacques Chessex wohnte etwa dreißig Jahre in Ropraz.

:stern: :stern: :stern:

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von Anzeige » 20.03.2010, 08:42

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Re: Chessex, Jacques - Der Vampir von Ropraz

Beitragvon Krümel » 20.03.2010, 14:18

mombour hat geschrieben:
Nicht wählbar sind:
Bürger, die Wegen Geisteskrankheit oder
Geistesschwäche entmündigt wurden.


Warum muss man so etwas extra erwähnen? Das ist das Seltsame.
Jacques Chessex wohnte etwa dreißig Jahre in Ropraz.


Greift Chessex damit den Inzest auf?

So, jetzt stehe ich vor der Entscheidung, muss ich auch lesen oder nicht? Was würdest du denn raten :wink:
Ähnlich, aber bestimmt nicht so schauerlich, ist der Roman von Bittl "Irrwetter", auch ein Dorf total hinter-weltlich mit Aberglaube und Inzest.

Danke für deine Vorstellung :thumleft:
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Re: Chessex, Jacques - Der Vampir von Ropraz

Beitragvon mombour » 20.03.2010, 14:34

Krümel hat geschrieben:
mombour hat geschrieben:
Nicht wählbar sind:
Bürger, die Wegen Geisteskrankheit oder
Geistesschwäche entmündigt wurden.


Warum muss man so etwas extra erwähnen? Das ist das Seltsame.
Jacques Chessex wohnte etwa dreißig Jahre in Ropraz.


Greift Chessex damit den Inzest auf?



Der Inzest wird im Roman nur ganz nebenbei erwähnt, und dass die Öffentliche Bekanntmachung den Inzest meint, ist deshalb doch eher zweifelhaft. Allerdings ist auch das Zitat von Antonin Artaud interessant, welches ebenso dem Roman vorsteht.

Ein kleines totes Mädchen sagt:
Ich bin die, die vor grauen platzt
in den Lungen der Lebenden.
Holt mich schnell daraus.


Was für eine Verantwortung nun wieder, ob ich die raten soll, den Roman zu lesen oder nicht. :mrgreen: Ich bereue es nicht. Mir gefällt der Stil, der hier genauso flackert wie im Juden. Die anderen beiden Romane, die wir gelesen haben, halte ich noch für besser und für diese eben, gilt für alle Forumsteilnehmer ein muss ("Der Kinderfresser" und "Ein Jude als Exempel"). Es gibt natürlich Leute wie mich, die vom vampirmäßigem Dorfgrauen und Dorfstumpfheit und Grausen sich angezogen fühlen. Für diese Leute ist der Roman natürlich was, zumal sich Chessex durchaus auch auf die Gegenwart bezieht. Sprachliche Perlen findet man natürlich auch im Vampir. Ich denke, ich werde alles lesen, was mir von Chessex in die Hände flutscht (antiquarisch gibt es noch einiges, vielleicht verlegt auch Nagel & Kimche noch was: Darauf hoffe ich.

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