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Chessex, Jacques - Ein Jude als Exempel




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Chessex, Jacques - Ein Jude als Exempel

Beitragvon Krümel » 01.04.2010, 10:46

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Eine Weiterführung des Kinderfressers nach 35 Jahren?

1942 in Payerne in der Schweiz. Ein kleiner verschlafener Viehzuchtort in der Nähe von Bern wird zum Austragungsort eines schlimmen Massakers. Der Pastor und der Kaufmann Ischi veranstalten ein Exempel an dem Juden Arthur Bloch. Ihre Helfer, kleine unbedeutende Vollstrecker, locken den Mann in einem Hinterhalt, bringen ihn um und zerstückeln ihn wie Vieh. Danach werden die Einzelteile in einem See versenkt. Dies geschieht als eine Art Geburtstaggeschenk für den Führer. Doch die Polizei nimmt den Fall auf, und fahndet nach den Nazis.

Chessex beschreibt im ersten Teil des Buches das Leben in der Kleinstadt, die Bewohner und deren Ansichten. Danach folgt das Exempel und zum Schluss wird dann deutlich, dass der Autor sein Erlebnis aus der Kindheit verarbeitet, Fragen stellt, die unbequem sind, die nicht gewollt sind. Aber es muss hinterfragt werden, damit man auch das Früher im Jetzt erkennt.

„Trotzdem kann es nicht unrecht sein, wenn ich, der in Payerne geboren und als Kind dort aufgewachsen bin, Umstände hinterfrage, die meine Erinnerung die ganze Zeit hindurch vergiftet haben und mir seit damals ein Schuldgefühl einflößen, das sich jeder Vernunft entzieht. „ … „Von Arthur Bloch spricht man nicht. Arthur Bloch, das war früher. Eine alte Geschichte. Schnee von gestern.“ … „Also ist früher? Und früher ist jetzt?“ (Seite 81 bis 95)

Es kommt einem schon so vor, als ob dieses Buch nun die Entmythologisierung des „Kinderfressers“ ist. Dass Chessex nach 35 Jahren offen und ehrlich das niederschreibt, was er im „Kinderfresser“ noch hinter verdeckter Hand umschrieben hat. Der Autor wurde 2009 nach der Veröffentlichung des französischen Originals auch stark für diesen Tabubruch gescholten, Chessex als Karikatur mit Nazirunen im Karnevalszug, als Nestbeschmutzer. Eine Entmythologisierung auch in zweifacher Verwendung, die Deutung des „Kindlifresser-Brunnen“ in Bern und als Offenlegung der Schweizergeschichte als Schweizer.

Beide Bücher, die aber so schwer wiegen wie ganz „dicke“ Werke, fressen sich tief in die Psyche des Lesers hinein. Das ist für mich große Literatur! Ich bin froh diesen Autor für mich entdeckt zu haben.

Bewertung: :stern: :stern: :stern: :stern:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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