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Dirks, Liane - Die liebe Angst




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Dirks, Liane - Die liebe Angst

Beitragvon mombour » 20.05.2010, 17:33

Hallo,

Liane Dirks: Die liebe Angst

Bild

In den letzten Wochen, habe ich diese Autorin entdeckt, die es echt drauf hat.

Nachdem mich "Falsche Himmel" enttäuscht hat, bin ich begeistert von "Die liebe Angst":
Dirks hat geschrieben:Angst, die das Hirn zerfleddert und das Herz im Klosett verschluckt. Angst.


Auch wenn z.Zt. die katholische Kirche wegen sexuellen Missbrauch an Minderjährigen ins Zwielicht geriet, findet solch ein Missbrauch meist im Kreise der Familie statt, in deren Kinder dieser Gewalt schutzlos ausgeliefert sind.

Im Jahre 1986, als dieses Thema noch längst nicht im Brennpunkt des Interesses lag, erschien der Romanerstling „Die liebe Angst“ von Liane Dirks. Aus der Sicht der vierjährigen Anne, die am Ende des Romans 11 Jahre alt ist, erlesen wir die Geschichte einer Kindheit. Der Beginn des Romans schon löst Betroffentheit aus.
Dirks hat geschrieben:Einmal kam eine Frau an unserem Fenster vorbeigepflogen. Ich war noch ganz klein, aber ich hab grad hingesehen, als sie flog.
Und da hab ich gelernt, daß Menschen nicht fliegen können. Sie landete mit einem dumpfen Knall auf den Steinfliesen im Hof, und meine Mutter sagte, die hat gar nicht fliegen wollen. Die wollte stürzen.


So schnörkellos und absolut treffsicher in Wort und Verdichtung zieht diese bemerkenswerte Prosa durch den Roman. Da das Mädchen vier Jahre alt ist, werden die ersten sexuellen Annnäherungsversuche des Vaters in traumbeladenen Bildern erzählt:

Dirks hat geschrieben:Manchmal nachts stand plötzlich der liebe Mond vor dem Schmetterlingsnetz, ich wurde wach, schlug die Augen auf, da hing das weiße Mondgesicht nah an dem Netz, sah aus wie der Papa und flüsterte gute Nacht...


Der Vater ist Hotelkoch und ein Säufer. Er „liebt rohes Fleisch und wildes Leben, saftige Weiber und Bier..“, im Streit mit der Mutter fliegt auch mal das Porzellan. Hat er wieder etwas angestellt, schmeißt ihn sein Brötchengeber auf die Straße. So ziegen sie von Hamburg nach Barbados, dann nach München, Rothenburg usw. Der Vater wird ganz lieb dargestellt, natürlich, schließlich erleben wir die Geschichte aus der Sicht der jüngsten Tochter, und sie liebt natürlich ihren Vater, dem Märchenerzähler, der in seinen Geschichten nachts die Puppen aufwecken lässt, die dann reden, lachen laufen und weinen, schimpfen und abrechnen. Abrechnen damit, wie die Puppenmutti sie tagsüber behandelt hat. Die Mutter hat traurige Augen wie Ingrid Bergmann, sie hat sich das Leben anders vorgestellt. Nicht immer nur ein Leben zwischen Aufbauen und Abreißen von Betten und Zelten. Der Vater bringt immer seine Töchter ins Bett.

Sehr gelungen in diesem Roman ist der Blickwinkel aus der Sicht der jüngsten Tochter. So erfährt der Leser auch nur das, was uns der Blickwinkel dieses Mädchens verrät, und wie das Mädchen seine Umwelt begreift. Dieser freundliche Vater, der sich offenbar mit seinen Töchtern inniger versteht als mit seiner Frau, dieser Säufer von Koch, der sich in die Kinderseelen einschmeichelt, um sie sexuell zu missbrauchen, geht perfide vor, ganz langsam Schritt für Schritt. Die Mutter will „die Schande bedecken“ auch der Pfarrer, dem die Kinder sich zutrauen, von der Schande zu erzählen, weicht aus und verflüchtigt sich, weil es ihm unangenehm ist. Die Töchter leben mit dem Druck etwas verbotenes zu tun, weil ihnen Schuldgefühle aufgeschultert werden.

Dirks hat geschrieben:Ich weiß nicht nicht, ob ich Engel sehen will, ich bin doch ein böses Kind, das verbotene Dinge tut.


Also lesen, sind gerade mal 140 Seiten. Aber was für welche.[grin]

Und weiter geht's mit der Lektüre "Vier Arten meinen Vater zu beerdigen".

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Liebe Grüße
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von Anzeige » 20.05.2010, 17:33

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Re: Dirks, Liane: Die liebe Angst

Beitragvon Krümel » 20.05.2010, 18:50

Tz-mombour im Dirks-Fieber :lol: :wink:

"Vier Arten meinen Vater zu beerdigen" das möchte ich auch noch lesen, mit dem Thema Missbrauch muss ich nicht unbedingt konfrontiert werden. Ist schlimm genug, dass es so was gibt :grübel2:
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Re: Dirks, Liane: Die liebe Angst

Beitragvon mombour » 20.05.2010, 20:23

ziemlich fiebrig, ja.
In "Vier Arten meinen Vater zu beerdigen" geht es eben um diesen Vater, der seine Töchter missbraucht hat. Ich beginne das jetzt. :hurra:
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Re: Dirks, Liane: Die liebe Angst

Beitragvon Krümel » 20.05.2010, 21:10

mombour hat geschrieben:In "Vier Arten meinen Vater zu beerdigen" geht es eben um diesen Vater, der seine Töchter missbraucht hat.


Auch? Gut zu wissen, dann werde ich das verschieben, ich möchte etwas heiteres lesen :D
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