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McCann, Colum - TransAtlantic




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

McCann, Colum - TransAtlantic

Beitragvon Squirrel » 21.07.2014, 17:16

Über den Autor:
Colum McCann (geb. 28.2.1965) ist ein irischer Schriftsteller, Journalist und Drehbuchautor, der seit über 20 Jahren mit Familie in New York lebt. Er hat in Dublin Journalismus studiert und in diesem Beruf gearbeitet, ehe er in die USA auswanderte. Neben 6 Romanen (u.a. „Der Tänzer“, ein Roman über Rudolf Nurejew) hat er auch 2 Kurzgeschichtenbände veröffentlicht. (Quelle: Wikipedia)


Buchinhalt:
Dublin, 1845: Der amerikanische Abolitionist Frederick Douglass reist durch das von Hungersnot gepeinigte Irland, wo die Leute schlimmer leiden als unter der Sklaverei. Neufundland, 1919: Die beiden Flieger Jack Alcock und Arthur Brown unternehmen den ersten Nonstopflug über den Atlantik mit Kurs Irland. New York, 1998: US-Senator George Mitchell verlässt seine junge Frau und sein erst wenige Tage altes Baby, um in Belfast die nordirischen Friedensgespräche zu einem unsicheren Abschluss zu führen. "Transatlantik" verwebt drei ikonische historische Momente mit dem Schicksal dreier Frauen: Angefangen bei der irischen Hausmagd Lily Duggan, in der Frederick Douglass die Liebe zur Freiheit weckt, folgt der Roman ihrer Tochter Emily und ihrer Enkelin Lottie in die USA und, später, zurück auf die Insel. Ihr Leben spiegelt den Verlauf der bewegten Nationalgeschichte Irlands und Amerikas. Dabei spielt ein vergessener, über drei Generationen nicht geöffneter Brief eine entscheidende Rolle.
Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. (Quelle: Perlentaucher)

Untergliedert ist das Buch in 3 numerierte Bücher mit mehreren Kapiteln, die mit Titeln und Jahresangaben versehen sind. Vorangestellt ist eine kurze Szene aus dem Jahr 2012, deren Sinn sich am Ende des Buches ergibt. Es gibt nicht eine chronologische Geschichte, sondern die Geschichten hüpfen anfangs in der Zeit durcheinander. Aber durch die Kennzeichnung der Kapitel mit den entsprechenden Jahren kann man den verschiedenen Handlungssträngen gut folgen. Das Buch endet mit einer Danksagung.

Meine Meinung:
Da ich mich für Geschichte interessiere, hat mich der Klappentext sofort gereizt, dieses Buch zu lesen. Außerdem hatte ich bisher nur Positives über den Autoren gehört, so dass ich gerne ein Buch von ihm lesen wollte. Ich habe es nicht bereut.

Im ersten Buch (das die Hälfte des gesamten Buches einnimmt) stehen die realen Personen Jack Alcock und Teddy Brown, Frederick Douglass und Senator George Mitchell im Vordergrund. Ich hielt diese Personen auch erst für fiktive Charaktere bis ich durch Nachforschen merkte, dass es sich hier um reale Hintergründe und Personen handelt. McCann gelingt es hervorragend, diese Personen wieder zum Leben zu erwecken (Senator Mitchell lebt noch heute mit Familie in den USA). Anfangs begleitet man die beiden Kriegsveteranen Alcock und Brown in einer alten Vimy während der Vorbereitung zu und bei dem ersten Nonstop-Flug über den Atlantik. McCann setzt einen direkt hinein in dieses alte Flugzeug aus Holz und Stoff und man fühlt sich, als ob man mit den beiden Piloten diesen waghalsigen Flug durchlebt. Danach geht es zurück in der Geschichte zu Frederick Douglass, einem entflohenen Sklaven, und wir begleiten ihn auf seiner Reise durch Irland zu Beginn der Großen Hungersnot 1845/46. Douglass besonders ist ein faszinierender Charakter, hat er es nach seiner Flucht doch geschafft, Bücher zu veröffentlichen und in seiner Position als ehemaliger Sklave der Welt das Problem der Sklaverei vor Augen zu führen. McCann lässt aber auch den Menschen hinter der öffentlichen Person vortreten mit all seinen Zweifeln und Unsicherheiten, wenn er sich in den gebildeten Schichten Irlands bewegt und Vorträge hält, seine eigene Geschichte dabei ja aber nicht einfach abwerfen kann. Gleichzeitig werden die fürchterlichen Lebensumstände der Armen, Hungernden und Fliehenden sehr bildhaft dargestellt. Dann folgt der große zeitliche Sprung in die Gegenwart des Jahres 1998 und mitten hinein in die unsicheren Friedensverhandlungen zwischen England, Irland und der Sinn Fein (dem politischen Zweig der IRA), die Senator Mitchell als Verhandlungsführer leitete. Diese spannungsreiche Zeit wird von McCann hervorragend in einem hektischen, teilweise stakkatoartigen Stil zum Leben erweckt. Manche von uns können sich daran ja noch erinnern – und an das Bangen, ob ein Frieden in dieser zerrissenen Region möglich und greifbar ist.

In den beiden folgenden Büchern werden diese realen Geschichten verknüpft zu einem Ganzen durch die fiktiven Frauen der Ehrlich-Familie, denen wir teilweise bereits in Buch 1 immer mal kurz begegnen. Beginnend mit Lily Ehrlich geb. Duggan, einem ausgewanderten Dienstmädchen, folgen wir vier starken Frauen bis ins Jahr 2011, die alle ihren eigenen Weg aus eigener Kraft gehen und ihr Leben trotz teilweise sehr widrigen Umständen oft allein bestreiten. Diese Familiengeschichte bildet die Klammer um all die einzelnen Episoden beiderseits des Atlantiks. Diese Teile des Buches sind chronologisch aufgebaut. Mehr zu den Geschichten der Frauen verrate ich hier aber nicht, entdeckt sie selbst.

McCanns Sprache bleibt stark und eindringlich, die Sätze kurz und klar, v.a. seine Bilder, mit denen er die teilweise schrecklichen, aber auch amüsanten oder einfach alltags-normalen Erlebnisse beschreibt, haben mich sehr für ihn eingenommen. Sehr eindringlich sind z.B. die Szenen zu Beginn von Buch 2, wenn der Leser Lily Ehrlich im Bürgerkrieg durch das Lazarett begleitet und sie nur hofft, ihren Sohn nicht zu sehen – denn dann hätte sie ihn verloren.
She stood at the window. It was her one hundred and twenty-eigth day of watching men die. They came down the road in wagons pulled by horses. She had never seen such a bath of killing before. Even the horses seemed incredulous. …... The beds of their wagons were black with blood. It had fallen on the wheels, too, so that their lives seem to circle and turn beneath them.

Aber um auch eine andere, nicht so grausame Szene zum Leben zu erwecken:
She left the dining room, her cane striking off the boards. Gradations of darkness over the water. No moon. Starlight skittered on the high waves. The lights seemed to rise from the ocean. In the distance the sea seemed so much blacker than the sky.


Ob ganz bewusst oder einfach im Lauf der Geschichte entstanden, teilt McCann als Journalist einen Seitenhieb an seine Kollegen von der Zunft aus – jedenfalls meiner Meinung nach. Er lässt die fiktiven Frauen den realen und gealterten, leicht abgehalfterten Helden Teddy Brown besuchen und zeigt in dieser Szene, dass man mit alternden, gefallenen Helden durchaus auch sehr menschlich umgehen kann und nicht immer weiter auf sie einprügeln muss. Sehr deutlich prangert er auch immer wieder die Sinnlosigkeit von Gewalt und Krieg an – das zieht sich durch große Teile der Geschichten, nicht nur der realen Personen. Ganz besonders Nord-Irland hat die Sinnlosigkeit von Gewalt in den jahrzehntelang andauernden Troubles leidvoll erfahren müssen. Nicht immer macht er es so brutal-bildlich wie in der von mir oben zitierten Passage, doch immer klar und deutlich. Trotzdem kann man diesen Roman nicht einfach als Anti-Kriegs-Roman bezeichnen, denn es ist nur eine Facette des Ganzen.

Mein Fazit:
Ein absolut lesenswertes Buch, bestimmt nicht nur für Geschichtsinteressierte. Spannend und fesselnd erzählt, entführt der Autor uns in die geschichtsträchtigsten Zeiten der USA und Irlands der letzten 170 Jahre, die bis heute prägend für beide Länder sind. Er spannt den Bogen vom Irland zur Zeit der Great Famine über den Großen Teich ins Amerika des Bürgerkrieges und zurück mit den nachfolgenden Generationen ins Irland des 20. Jahrhunderts. Das Meer ist das Bindeglied, der Mittelpunkt, über den hinweg sich seine Geschichte entwickelt. Auch wenn Gewalt und Krieg als Themen vorherrschend erscheinen, so ist es doch kein Buch nur über Gewalt, sondern eines darüber, dass man sein Leben immer meistern kann, egal wie schlecht die Ausgangsbedingungen auch sein mögen.
viele Grüße vom Squirrel
Squirrel
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