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Schalansky, Judith - Der Hals der Giraffe




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Schalansky, Judith - Der Hals der Giraffe

Beitragvon Krümel » 09.02.2012, 13:04

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Dieser „Bildungsroman“ ist anstrengend zu lesen!

Die Protagonistin reflektiert drei Tage aus ihrem Leben. Sie ist Biologielehrerin irgendwo im vorpommerischen Hinterland und das seit über 30 Jahren. Verheiratet ist sie mit einem Straußenzuchtwart und ihre Tochter wohnt seit langem in Amerika. Sie, Inge Lohmark, unterrichtet die 9. Klasse in Biologie, in der nur noch 12 Schüler den Unterricht zieren, so dass in vier Jahren damit Schluss ist, das Gymnasium, an dem sie unterrichtet, wird geschlossen.

>>Es lohnte einfach nicht, die Schwachen mitzuschleifen. Sie waren nur Ballast, der das Fortkommen der anderen behinderte. Geborene Wiederholungstäter. Parasiten am gesunden Klassenkörper. Früher oder später würden die Unterbelichteten ohnehin auf der Strecke bleiben . <<

Das Buch ist eine Aneinanderreihung biologischer Einschübe, und diese sind dazu noch sehr oberflächlich, und beinhalten mehr oder weniger Schlagwörter aus dem Biologie-Leistungskurs-Standardwissen. Der Ton, in dem diese Triaden vorgetragen werden, ist anfangs noch frisch, wird aber im Verlaufe der Lektüre eintönig, wenn nicht sogar einschläfernd.

>>Wege zur sozialistischen Kuh. Langlebig, fruchtbar und robust. Drei Fliegen mit einer Klappe. Pralle Euter, starke Muskeln. Ein paar Jahre milchbetontes Mästen. Fertig war das vollkommene Zweinutzungsrind. Die eierlegende Wollmilchsau.<<

>>Was man alles nicht mehr sagen durfte: Neger, Fidschis, Zigeuner, Zwerge, Krüppel, Sonderschüler. Als ob damit irgendwem geholfen wäre. Sprache war doch dazu da, klarzumachen, was gemeint war.<<


Nach dem Lesen ist dem Leser bewusst wozu der biologische Teil im Buch dient, nämlich als Übertragung, und diese ist dann auch sehr raffiniert herausgearbeitet. Ein System gleicht dem anderen System, und überleben kann nur der Fitteste, die Mutation, die Vorteile bringt und der einzelne untergeht. Damit erhält der Roman auch seine Berechtigung in der Literatur, wenn er auch alles andere als gut lesbar ist. Allerdings steht meiner Meinung nach die Entwicklung der Protagonistin nicht so sehr im Rampenlicht, wie es bei einem „Bildungsroman“ der Fall sein müsste. Und ein Bildungsroman hat halt nichts mit bildenden Romanen zu tun, zumal die Biologie hier als Metapher dient. Fazit: Wenn man die Muse auf diese Zeilen hat, wird man am Ende ein wenig belohnt.

>>Neuerdings sollte es nicht mal mehr Menschenrassen geben. Wer das leugnete, war blind. Dass ein Neger anders als ein Eskimo aussah, war ja wohl offensichtlich.<<

Judith Schalansky, 1980 in Greifswald geboren, studierte Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign. Ihr literarisches Debüt, der Matrosenroman „Blau steht dir nicht“, erschien 2008. Für ihren „Atlas der abgelegenen Inseln“ wurde sie 2010 mit dem 1. Preis der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet. Sie lebt als freie Schriftstellerin in Berlin.

Bewertung: :stern: :stern: / :stern:
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von Anzeige » 09.02.2012, 13:04

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Re: Schalansky, Judith - Der Hals der Giraffe

Beitragvon Pippilotta » 09.02.2012, 15:36

Auf Deine Bewertung war ich jetzt neugierig ..... die ist ja im Blog nicht ersichtlich. Kannst Du einschätzen, warum das Buch sooo hochgelobt wurde und total präsent in allen Medien? Von "ernstzunehmenden" Kritikern wurde es ja nur verrissen. Mir ist jedenfalls die Lust darauf endgültig vergangen....
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Re: Schalansky, Judith - Der Hals der Giraffe

Beitragvon Monika » 09.02.2012, 17:17

Pippilotta hat geschrieben: Von "ernstzunehmenden" Kritikern wurde es ja nur verrissen.


Ich hatte den Eindruck, dass das Buch gerade von den ernstzunehmenden Kritikern sehr gelobt wurde. Immerhin stand es bei seinem Erscheinen mit großem Punktvorsprung auf Platz 1 der SWR-Bestenliste, die jeden Monat von zwanzig ernstzunehmenden Kritikern erstellt wird (wobei ernstzunehmende Kritiker auch nicht immer ernst zu nehmen sind :lol: ). Aber vermutlich bekomme ich hier in Italien nur die Hälfte mit.
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Re: Schalansky, Judith - Der Hals der Giraffe

Beitragvon Krümel » 09.02.2012, 17:37

Pippilotta hat geschrieben:Auf Deine Bewertung war ich jetzt neugierig ..... die ist ja im Blog nicht ersichtlich. Kannst Du einschätzen, warum das Buch sooo hochgelobt wurde und total präsent in allen Medien? Von "ernstzunehmenden" Kritikern wurde es ja nur verrissen. Mir ist jedenfalls die Lust darauf endgültig vergangen....


Hi, dem nach bin ich "ernstzunehmend" :D

Ganz ehrlich gesagt, denke ich, dass sich viele von den biologischen Ausflügen blenden lassen - mensch wie literarisch wertvoll, und das es sich eben von einem System "DDR" und dem System Evolution "Survival of the fittest" übertragen lässt - als Flucht für diese Bio-Lehrerin.
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Re: Schalansky, Judith - Der Hals der Giraffe

Beitragvon wolves » 10.02.2012, 09:11

Da ist ja die Rezi auf die ich auch schon die ganze Zeit gewartet habe. Hmm, ich hatte ja bereits auf den von rainy empfohlenen Link mir die ersten 10 Seiten angehört. Da klang das ganze ja noch recht interessant, aber wenn das sich zieht. Nö, darauf hätte ich im Moment auch keine rechte Lust. Mal sehen, vielleicht erwische ich das Buch irgendwann mal recht günstig oder komme irgendwann mal in eine Bibliothek, aber auf meiner Dringlichkeitsliste fällt es gerade runter. Danke für deine Rezi, Krümel!
Liebe Grüße
wolves


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