Ein Mann paddelt in seiner Salzwasserzelle und versucht nicht zu ertrinken. Denn ist die Zelle bei Ebbe staubtrocken so füllt sie sich mit zunehmender Flut bis fast unter die Decke mit Meerwasser so daß der Insasse, in dem Fall der ausgemergelte Mann und der König, um sein Leben Schwimmen muss bis der Wasserstand wieder sinkt.
Der Mann in der Zelle ist ein Gauner der für ein verhältnismäßig kleines Verbrechen zu Lebenslangem Lager auf Tasmanien, genauer Sarah Island, verurteilt wurde. Diese Insel ist die schlimmste Zuchtanstalt die das British Empire Anfang des 19. Jahrhunderts vorweisen kann.
Der Name des Mannes tut eigentlich nichts zur Sache, denn auch jener ist dreist von jemand anderen gestohlen, aber für diese Geschichte nennen wir ihn William B. Gould.
Bei der Ankunft auf Sarah Island, der „Teufelsinsel“, gedieh ihm, Seitens des Wachpersonals, die selbe Behandlung an wie allen anderen auch. Schwerstarbeit für alle und quälende Folter für die die nicht wollten, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.
Doch rasch wurde der Lagerarzt auf Gould aufmerksam da er die Fähigkeit besaß wissenschaftlich brauchbare Bilder zu mahlen und zu zeichnen. Der Doktor wollte die Gelegenheit nutzen und in dieser Wildnis seine unerlässlichen Forschungen vorantreiben um so vielleicht eines Tages Ruhm und Ehre zu erlangen und sogar in die Royal Society aufgenommen zu werden. Das einzige was ihm fehlte war ein Illustrator für seine Texte den er aber nun in William Gould gefunden hatte.
Williams Tagesablauf veränderte sich dadurch schlagartig. Als persönlicher Assistent des Doktors richtete er Vormittags dessen Haushalt und bekam am Nachmittag die Zeit und Muse sich seinen Zeichnungen zu widmen. Meist waren dies Fische oder andere Meereslebewesen die ihm von anderen Sträflingen, die zum Fischen abkommandiert waren, gebracht wurden.
William hatte sogar so viel Zeit um den Blick schweifen zu lassen und das gesehene aufzuschreiben. Nebst einer Liebelei mit einer Eingeborenen hat es ihm der Kommandant angetan. Dieser leitete zwar die Geschicke der Insel, aber schon lange nicht mehr unter der Herrschaft des British Empires. Der Kommandant wirtschaftete schon Jahre lang, erfolgreich, in seine eigene Tasche und war vom Wahn besessen auf Sarah Island eine neue Hauptstadt zu errichten die auf der ganzen Welt angesehen war. Dazu gab er sich einem monumentalen Größenwahn hin. Sei es eine Spielhalle irrsinniger Ausmaße oder einem Bahnhof dessen Geleise von nirgends kamen und auch nirgends hinführten.
Dies alles konnte William Gould aber egal sein, er hatte seine ruhige Arbeit und damit war er mehr als zufrieden.
William war zwar kein Träumer, er wusste das er -spätestens wenn er alle Fische die es gab gezeichnet hatte- wieder als normaler Arbeiter schuften musste, aber nie hätte er sich träumen lassen das sein schönes Leben ein so jähes Ende nimmt. Oder viel mehr nahm das Leben seines indirekten Gönners, dem Doktor, durch einen Unfall ein abruptes Ende.
So paddelt er nun, wegen Mordes am Lagerarzt angeklagt und zum Tode verurteilt, und ärgert sich mit dem König rum während ihm das Wasser bis zum Halse steht.
Noch weis er nicht das sich für ihn bald die Möglichkeit zur Flucht bieten soll, nicht nur um seine Haut zu retten, sondern auch um der Welt von den infernalischen Zuständen auf dieser Insel zu berichten und, natürlich, um seiner Chronik, dem Buch der Fische, ein für ihn vielleicht gutes Ende hinzufügen zu können.
Erstaunlich.
Richard Flanagan sieht man gar nicht an das dies hier gerade erst mal sein dritter Roman ist. Wie ein alter Hase führt er die Feder, bindet den Leser an seine Charaktere und verdichtet die Atmosphäre stellenweise zu einem Fiebertraum wo es selbst wachen Geistern unbehaglich werden dürfte.
Er schreibt frisch und einfach, gibt nichts auf Metaphern die sich in Denkkaskaden bis ins Unendliche fortsetzen. Direkt und oft dahin wo es wehtut langt er mit seinen Worten, jedoch nie roh und unüberlegt.
Überhaupt ist
Goulds Buch der Fische kein Buch der überflüssigen Worte. William Gould, wie auch allen anderen Sträflingen damals, war es streng verboten zu schreiben oder eigene Aufzeichnungen zu führen. Jede Seite auf der er weiter schreiben konnte musste sich William zusammenkratzen und zusammenschwindeln. Und es war auch nicht immer Tinte mit der er schrieb, auch Farben die er sich abzwackte oder auch sein eigenes Blut mussten schon mal für ein Kapitel herhalten.
Bei so etwas bleibt kein Platz für unnütze Worte und dies hat auch der Autor begriffen.
In einem straffen Erzählstil folgt er dem Hauptcharakter auf seiner Odyssee durch seine äußere, durch den Größenwahn des Kommandanten bestimmte, und seine innere, durch den Wahnsinn leicht deformierte, Welt.
Das aufeinanderprallen beider Welten gibt Flanagan immer wieder Gelegenheit auch mit der Sprache zu spielen. So versucht er physische Begebenheiten in der Handlung literarisch umzusetzen. Sei es das Gould seinen Kerkermeister noch nicht in die Geschichte lassen möchte und deswegen seine Zellentür von innen zuhält oder auch wenn jemand stirbt wird das Denkvermögen stark eingeschränkt und der Leser bekommt nur noch Kauderwelsch zu lesen.
Zugegeben, zwar einfache Mittel und auch sehr sparsam eingesetzt, aber die Wirkung auf den Leser ist im Zusammenspiel mit der Geschichte eine außerordentliche.
Ein abschließendes Urteil kann (und will) ich hier nicht wagen. Jeder Leser muss selber wissen ob er sich über den Tellerrand hinaus getraut. Es ist kein Buch für einfaches Lesen, kein Unterhaltungs- oder Spannungsroman. Es ist grausam und schön zugleich…und ab und an fragt man sich sogar auf welcher Seite des Tellerrandes man sich nun wirklich befindet.