Was bist du wert?
Wellchen Wert produzierst du als Frau bis zu deinem 50ten Lebensjahr?
Das höchste Gut bis dahin ist es wohl Kinder zu bekommen die gut aufwachsen und gedeihen, eingefügt werden können in eine Gesellschaft in der SIE wiederum, im Verlaufe ihres Lebens, einen Wert für die selbige produzieren.
Das ist das Ideal in der Welt in der Dorrit Wegner lebt nur das sie es nicht zustande gebracht hat ein Kind zu gebären oder sonst wie besonders im Leben aktiv zu werden um einem unheimlichen und unheilvollen Schicksal zu entgehen. Nämlich für die Gesellschaft entbehrlich zu werden.
Sie hat es nicht fertig gebracht sich von einer Brücke zu stürzen oder eine Überdosis Tabletten zu nehmen. Nein, stattdessen steht sie an ihrem 50ten Geburtstag am Straßenrand und wartet das sie von Mitarbeitern der „Einheit“ abgeholt wird.
Die “Einheit” ist in einem großen Gebäudekomplex untergebracht der einzig und alleine dazu da ist Frauen ab 50, ohne Kinder oder sonstige Verpflichtungen, und Männer ab 60, ebenfalls ohne Familie oder sonstigen Verpflichtungen der Gesellschaft -den Benötigten- gegenüber, zu beherbergen die, stückweise oder im ganzen, physischen wie psychischen Versuchen zugeführt werden.
Testreihen mit körperlicher Ertüchtigung, Tabletten die noch nicht Marktreif sind und erst noch auf Nebenwirkungen untersucht werden müssen oder das Spenden von Organen.
Eine Niere, ein Stückchen von der Lunge oder gar, wenn es akut ist, ein Herz oder eine Bauchspeicheldrüse. Dies wird dann formschön die “Endspende” genannt bei der der Spendende zu 100% zu Tode kommt.
Am Anfang ist Dorrit noch verschreckt und verunsichert obwohl sie sich recht schnell an den Luxus gewöhnt der in der “Einheit” geboten wird. Sie muss sich um nichts mehr sorgen, bekommt nebst einer kleinen Zweiraumwohnung, Kleider, Lebensmittel und alle erdenklichen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung und sollte mal ihr Lieblingsmüsli oder ihre Designerjeans nicht lagernd sein kann es ohne weiteres von draußen bestellt werden.
Geld spielt keine Rolle, wenn der Staat zahlt.
Nein, kein totalitäres Regime hat diesen Entwurf einer ökonomischen Verwaltung entbehrlichen Lebens erdacht sondern die Politik mit Absegnung der Bevölkerung.
Bald lernt Dorrit Wegner das Leben in der “Einheit” zu schätzen. Für sie ist nicht nur gesorgt sondern sie hat auch rasch Freunde gefunden die sie so akzeptieren wie sie ist und die für sie schnell zum Familienersatz werden. Und in Johannes findet sie die Liebe wieder die ihr im normalen Leben verwehrt blieb.
Abgesehen von einigen Versuchen physischer Natur die keine weiteren Gesundheitsbeeinträchtigungen nach sich ziehen, und der Gewissheit nach spätestens 4-5 Jahren Aufenthalt der Endspende zugeführt zu werden, führt sie ein ganz normales Leben bis zu jenem Tag an dem das unmögliche eintritt.
Dorrit wird schwanger…
Nach dem zuschlagen des Buches
Die Entbehrlichen, von Ninni Holmqvist, muss man erst mal überlegen was man da gerade gelesen hat. Muss es sacken lassen um dann wieder etwas Fuß zu fassen. Das Buch macht es einem nicht leicht alles entweder schwarz oder weiß zu sehen. Es gibt kein Gut und kein Böse in dieser Erzählung, ja stellenweise ertappt man sich wirklich dabei zu überlegen das jener Entwurf gar nicht mal so schlecht ist, nur um jedoch einige Seiten später auch die Kehrseite der Mediale von Holmqvist präsentiert zu bekommen. So human das ganze System auch scheinen mag so sperrt sich dann doch das innere Denken des Lesers gegen eine grundsätzliche Frage:
Was ist ein Menschenleben wert?
Ist es wert einen Menschen zu opfern damit bis zu 8 andere (in der Gesellschaft benötigte) Menschen weiterleben können?
Alleine die Einteilung der Gesellschaft in “Benötigte” und “Entbehrliche” Individuen birgt Stoff für lange Diskussionen. Ein trügerisches Gleichheitsprinzip beherrscht die Erzählung. Egal was man früher im Leben gemacht hat, so bald man in die “Einheit” kommt ist man nicht besser oder schlechter als die anderen. Alle sind gleich, egal ob man nun diesseits oder jenseits der Mauern sitzt.
Holmqvist schreibt leicht, direkt und kommt fast immer rasch auf den Punkt in ihrem Schreiben. Nur manchmal benutzt sie die spärlichen 270 Seiten dafür metaphorische Miniaturen zu mahlen die einen ins Herz treffen.
Dies wurde auch von manchen Lesern bekrittelt, das die Autorin zu sehr an der Oberfläche herumkratzt und nicht wirklich in die Tiefe der Materie eindringt. Ich jedoch halte das Buch in dieser Form für sehr gelungen. Die Geschichte Dorrit Wegners ist ein Bericht von Innen der sich keine abgehobene Objektivität leisten kann.
Und dennoch ist die Schriftstellerin nicht darum verlegen gegen Ende ein kleines Statement anklingen zu lassen. Andeutungen einer Spirale nach unten schimmern durch, immer mehr Humanmaterial wird gebraucht wobei die Nachfrage nicht befriedigt werden kann und die Gesellschaft im Umkehrschluss der guten Tat immer mehr zu einem kannibalistischen, Menschenverschlingenden System mutiert das sich selber frisst.
Ich halte es nicht nur für ein gutes Buch was Ninni Holmqvist da vorgelegt hat sondern ich halte es auch für gut das von Zeit zu Zeit solche Bücher verlegt und (hoffe) auch gelesen werden denn Charles Darwin´s Ausspruch -
das Überleben des Stärkeren- liegt immerhin schon weit über 140 Jahre zurück…