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Némirovsky, Irène - Die Hunde und die Wölfe




Némirovsky, Irène - Die Hunde und die Wölfe

Beitragvon Katia » 30.08.2007, 18:52

[center]Irène Némirovsky - Die Hunde und die Wölfe
Les Chiens et les Loups
[/center]

Irène Némirovsky, Jahrgang 1903, wiederentdeckte ukrainisch-französische Autorin, veröffentlichte den Roman "Die Hunde und die Wölfe" im Jahr 1940. Nur zwei Jahre später starb sie in Auschwitz.

Ada, Ben und Harry tragen denselben Nachnamen "Sinner", wachsen in derselben Stadt in der Ukraine auf - und doch könnten ihre Startpositionen ins Leben nicht unterschiedlicher sein. Ada und Ben wachsen in der ärmlichen jüdischen Unterstadt auf, Harry, der Bankierssohn, in der wohlhabenden Oberstadt. Welten prallen aufeinander als Ben und Ada nach einem Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung Schutz bei Harrys Familie suchen - ein Zusammentreffen, das Angst, Neid, Hass und Liebe schürt.
Nach der russischen Revolution leben die verschiedenen Sinners in Paris; es hat sich nicht viel geändert - Ada, die Malerin, ist noch immer aus der Ferne, in ihren Träumereien in Harry verliebt, Ben eifersüchtig und neidisch. Erinnerungen an die Heimat und Kindheit bringen Harry und Ada einander schließlich näher. Doch Aufstieg und tiefer Fall, Hoffnung und Angst sind nahe beieinander für die jüdische Familie Sinner.

Der Roman ist durchzogen von Melancholie, von den Schwierigkeiten, die die jüdische Bevölkerung in Russland und in Paris hat und über die in den entscheidenden Momenten oft der Reichtum hinweghelfen konnte
Er erzählt die Geschichte einer großen Liebe, der träumerischen, die gesellschaftlichen Differenzen überbrückenden Liebe Adas zu Harry.
Die gemeinsame Herkunft baut eine ebenso enge Bindung auf, wie die Näherung an die christlich-französische Gesellschaft schwierig bleibt. Die Angst vor dem Fremden lebt bei allen.

Némirovsky ist eine Autorin, die ich schon lange kennen lernen wollte und ich wurde von diesem Buch in keiner Art und Weise enttäuscht.
Sie schafft es, in wenigen Zeilen ihre Charaktere lebendig werden zu lassen, Szenerien vor dem inneren Auge des Lesers entstehen zu lassen. Müsste ich dem Roman eine Farbe zuordnen so wäre es ein nebliges Grau, denn trotz all seiner farbigen Schilderungen durchziehen Schwermut und Traurigkeit die Seiten. Die Suche nach dem Glück ist Motor für die Handelnden, doch sie finden es nie auf Dauer. Némirovsky schreibt mit Empathie in einer schnellen und doch poetischen Sprache, mitreißend und traurig.
Es wird mit Sicherheit nicht meine letzte Lektüre der Autorin gewesen sein.

:stern: :stern: :stern: :stern:

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von Anzeige » 30.08.2007, 18:52

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Beitragvon Wirbelwind » 01.09.2007, 06:50

Hallo Katia,
danke für die sehr schöne Rezension, die mich gleich aufblicken ließ und meinen Kauf-Besitzrausch anstachelte.
Die Vernunft zwingt mich etwas auf die Bremse zu treten, aber ich habe es zumindest schon mal auf meine LiB gesetzt. Mal sehen wie lange ich widerstehen kann. :roll:

Liebe Grüsse
Wirbelwind
Ein Buch ist ein Sprengsatz, um die Phantasie freizusetzen. (Alan Bennett in "Die souveräne Leserin")
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Beitragvon Pippilotta » 06.10.2007, 09:37

Ich kann Katias Rezension eigentlich gar nichts mehr hinzufügen.

Mir hat das Buch auch sehr gut gefallen, die Autorin hatte ich schon länger Zeit "im Visier". Die Geschichte selber ist sehr traurig, sehr melancholisch aber ohne Sentimentalität. Es ist ein Buch, dass mich nach dem Lesen nachhaltig beschäftigt hat.

Die Themen sind vielfältig, und nicht nur in der damaligen Zeit - das Buch spielt in der Zwischenkriegszeit - aktuell: das Schicksal von Fremden in einer "neuen Heimat", die traurige Gewissheit, dass vieles sich mit materiellem Reichtum leichter lösen lässt, aber auch der tröstende Beweis, dass materieller Reichtum nicht Garant für Glück und Zufriedenheit ist. Sehr beeindruckend und authentisch wird das Leben des "Großbürgertums" geschildert und die Sehnsucht der unteren Schicht, auch ein wenig "dazuzugehören". Dass das Brechen dieser gesellschaftlichen Schranken nur mit gegenseitigen Kompromissen gelingen kann, muss die Protagonistin Ada am eigenen Leib verspüren.

Von mir eine glatte Empfehlung!

:stern: :stern: :stern: :stern:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon tom » 06.10.2007, 13:42

Ein wunderbares Buch mit einer schönen Sprache, bei dem ich viel "anstreichen" konnte. Dennoch verblieb ich angesichts der "Lösung" des Romans etwas skeptisch. Was Pippi andeutet über die vermeintliche "Macht des Geldes" scheint hier für mich zu sehr hervorgehoben zu werden. Die Protagonisten lassen sich bei ihrem Handeln an einem gewissen Punkt auf diese Logik ein...?! (Oder ich habe etwas falsch verstanden.)

Némirovsky behalte ich im Visier! Man spricht hier sehr viel von ihr. Gerade kam eine enorme Biographie über sie heraus. Ich stellte auch fest, dass sie also ganz in der Nähe gewohnt hat (Toulon-sur-Arroux). Ich überlege, mal dorthin zu fahren, doch weiss ich nicht, ob es wirklich was mit ihr Zusammenhängendes dort gibt.
Die "Suite française" habe ich in der Ortsbücherei erfolgreich einkaufen lassen!
tom
 

Beitragvon wolves » 14.01.2008, 16:10

Ich bin gerade bei literaturkritik über diesenBeitrag über das Buch gestolpert. Vielleicht ist es ja für den einen oder anderen von Interesse?
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon Katia » 14.01.2008, 19:26

Oh, Wolves, jetzt musste ich gerade ein bisschen umdenken. Es gibt einen Roman von Nabokov "Ada or Ardor"= "Ada oder das Verlangen", was mich jetzt kurzfristig in Verwirrung geworfen hat, aber mit dem Verlangen endete den Artikel zu lesen. Obwohl ich gar nicht Ada heiße :grübel1:
Danke für den link!

Katia
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Beitragvon wolves » 15.01.2008, 09:59

@Katia: Gern geschehen.
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon Coco » 22.06.2008, 08:39

Als „Wanderbuch“ war diese Geschichte wirklich wunderbar geeignet!

Nemirovskys Sensibilität ist das bemerkenswerteste für mich an diesem Buch. Sie ist eine Meisterin in der Beschreibung der „kleinen“ Gefühle. Personen, Gesten, Regungen, alltägliche Situationen beschreibt sie mit wenigen Worten treffsicher, sogar derart, dass ich es geradezu nachfühlen konnte.

Die Themen des Entwurzeltseins in einem fremden Land, das Heimweh nach Bekanntem und Vertrautem, die Hierarchie innerhalb einer Gesellschaft, die insgesamt nur geduldet ist, der Stellenwert des Geldes, verbunden mit dessen Macht, für eben die, die ganz „unten“ leben, waren zwar für mich nichts Neues, dennoch habe ich sie selten so klar und treffend beschrieben gelesen.

Lediglich mit der vorherrschenden Thematik, Liebe als Passion, Liebe als Lebensinhalt, Liebe bis zur Selbstaufopferung, konnte ich wenig anfangen. Hier wird Nemirovsky mir teilweise zu süßlich, zu pathetisch, zu unrealistisch.
Sehr unzufrieden war ich mit dem Ende, leider blieb danach ein schlechter Nachgeschmack zurück.


:stern: :stern: :stern: / :stern: :stern: :stern: :stern:
Liebe Grüsse
Coco

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Beitragvon Krümel » 30.10.2009, 20:10

Coco hat geschrieben:Lediglich mit der vorherrschenden Thematik, Liebe als Passion, Liebe als Lebensinhalt, Liebe bis zur Selbstaufopferung, konnte ich wenig anfangen. Hier wird Nemirovsky mir teilweise zu süßlich, zu pathetisch, zu unrealistisch.
Sehr unzufrieden war ich mit dem Ende, leider blieb danach ein schlechter Nachgeschmack zurück.


Oh, oh bleibt das so :shock: Mir ist es nach zwei Kapiteln schon zu schwülstig :roll:
Ich finde nicht, dass sie lebendig schreibt, sondern total verniedlicht ...
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon Coco » 30.10.2009, 20:34

Oh, ich habe keine Ahnung mehr.

Es ist mittlerweile über ein Jahr her dass ich dieses Buch gelesen habe und ich muss sagen, ich kann mich an fast nichts mehr erinnern, spontan noch nicht einmal an die Handlung.....

Bislang hatte ich nicht den Wunsch, ein weiteres Buch von ihr zu lesen.

Aber lass Dich von mir nicht beeinflussen, ich glaube es gibt hier viele, die Irene Nemirovsky sehr mögen.
Liebe Grüsse
Coco

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