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Olmi,Véronique - Meeresrand




Olmi,Véronique - Meeresrand

Beitragvon Salome » 02.12.2006, 12:09

Véronique Olmi, selbst Mutter zweier Töchter, hatte die Idee zu diesem Werk, nachdem sie eine Zeitungsmeldung über eine psychisch kranke Frau gelesen hatte, die mit ihren beiden Kinder einen Ausflug macht und sie anschliessend umbringt. Dem Roman liegt also eine wahre Begebenheit zugrunde. Was Olmi daraus gemacht hat ist einfach unglaublich.

Sie erzählt die Geschichte aus der Perspektive der Mutter, düster, schonungslos auf den Punkt gebracht und dennoch ergreifend schön.
Diese Mutter, aus einem sozial schwachen Millieu, psychisch krank, unter ständiger Beobachtung des Jugendamtes, plant nun eine Reise mit ihren beiden Söhnen, es ist die erste in deren Leben. Sie möchte ihren Kindern auf dieser Reise einmal das Meer zeigen, ihnen das Vergnügen bereiten, das sie ihnen nie bieten konnte...
Im Lauf der Geschichte dringt man immer tiefer in die Psyche dieser Frau ein, fühlt sie und somit auch ihre Verzweiflung, ihre Depression, aber auch die tiefe Liebe zu ihren Kindern, die sie letztendlich nur vor dem, von ihr so empfundenen, Grauen des Lebens eines Erwachsenen bewahren will.

Wie Olmi es schafft sich in diese Person hineinzuversetzen ist unheimlich, sie selbst sagte, dass sie den Roman sehr schnell geschrieben habe, denn länger hätte sie die Nähe dieser Person nicht ertragen können.
Fazit:
Sie hat es geschafft diese sehr schwere Thematik brilliant umzusetzen, so kunstvoll, wie ich es noch nie zuvor gelesen habe.

Wenn ich in Philippe Claudel meinen geistigen Vater sehe, ist Veronique Olmi sicher meine Mutter.

Bild
Salome
 

von Anzeige » 02.12.2006, 12:09

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Beitragvon Karthause » 02.01.2008, 20:42

Dieses Buch hat mein neues Lesejahr eröffnet, gestern begonnen und auch beendet, emotional bin ich noch stark betroffen. Veronique Olmi hat dieses Buch aus der Sicht der Mutter geschrieben, sie ist in ihr Innerstes geschlüpft und hat es wertungsfrei sichtbar gemacht. Dadurch entstand für mich eine unnatürliche Nähe zu dieser Romanfigur. Ihre Ängste, ihre Nöte und ihre Verzweiflung wurden fast körperlich spürbar. Ich fühlte mich auf eine ganz besondere Weise in das Geschehen involviert, ich empfand Hilflosigkeit und fragte mich, hat sie wirklich niemanden, der ihr zur Seite stehen könnte. Recht schnell war mir klar, wie dieses Buch ausgehen würde, aber die letzten 10 Seiten haben mich dann doch fast überwältigt.

Dieses Buch ist ein ganz besonderes Buch. Es umfasst nur 120 Seiten, aber jede einzelne Seite besticht durch die brillante Schreibweise Veronique Olmi’s, die die Tiefe in der Hoffnungslosigkeit darstellen kann wie kaum ein anderer Autor. Trotz der beklemmenden Stimmung habe ich dieses Buch sehr gern gelesen.
Zuletzt geändert von Karthause am 17.03.2010, 12:18, insgesamt 1-mal geändert.
Viele Grüße
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Beitragvon Salome » 03.01.2008, 08:35

Schön, das Dir Meeresrand auch so gut gefallen hat (wenn man das so sagen kann bei diesem Buch). Bei mir hat es auch sehr lange nachgewirkt. Sicher gibt es Auswege aus solchen Situationen, aber was, wenn man diese Auswege, sei es wegen psychischer Störungen oder Verzweiflung und Panik,
einfach nicht mehr sieht? Diesen extremen innerlichen Abgrund hat Olmi ganz
hautnah nach oben gebracht.
Salome
 

Beitragvon Karthause » 03.01.2008, 09:03

Meine Mutti leidet ja auch an schweren Depressionen. Mir ist das also auch persönlich nicht unbekannt. Ich fand aber viele Dinge im Buch so wieder, wie ich sie auch kenne. Im Kopf bin ich mit Meeresrand immer noch nicht fertig. Es war ein richtig gutes Buch und mit dem Nachwirken hat es bei mir den Anschein, immer besser zu werden.
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Beitragvon Salome » 04.01.2008, 08:46

Das ist sicher sehr hart, der so nahe Kontakt mit einer schwerst Depressiven. :? Ich habe ja seit meiner Drogenzeit auch Depressionen, naja wahrscheinlich schon davor, allerdings kann ich inzwischen gut damit Leben und zum Glück habe ich selbst in den schlimmsten Zeiten nie das Licht am Ende des Tunnels völlig aus den Augen verloren, so wie die Mutter in dem Buch. Tjaja, mein Schutzengelchen musste schon hart schuften, aber hat mich noch nie im Stich gelassen... :mrgreen:
Salome
 

Beitragvon wolves » 04.01.2008, 11:48

@Salome: Gut, dass dein Schutzengelchen so gut auf dich aufpasst :bussi:

"Meeresrand" liegt ja auch noch auf meinem SUB. Da habe ich wohl noch harte aber gute Kost vor mir. Depressionen selbst kenne ich jetzt nicht, weder bei mir noch in meiner näheren Umgebung. Und ganz ehrlich, ich bin froh darüber davon verschont zu sein. Ich kenne zwar sehr sehr dunkle Seiten in meinem Leben bei denen ich nicht so schnell ein Lichtlein gesehen hatte, aber ich würde es jetzt nicht als Depression sehen.

Olmi kenne ich noch von der Lektüre von "Nummer sechs" als sehr gute Autorin. Dem Vergleich mit Claudel kann ich nur zustimmen.
Liebe Grüße
wolves


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Re: Olmi,Véronique - Meeresrand

Beitragvon Pippilotta » 17.03.2010, 12:02

Für diverse Wartezeiten bei Ärzten und in Ambulanzen nehme ich mir jetzt immer "dünne" Büchleins mit, letzte Woche las ich Philippe Claudels "An meine Tochter" und heute war Veronique Olmis "Meeresrand" dran.

Da beide Bücher eine zumindest ähnliche Thematik beschreiben und ich sie fast "hintereinander" gelesen habe, drängt sich nahezu ein Vergleich auf, auch wenn ich davon sonst nichts halte. In diesem Vergleich gewinnt eindeutig Claudel, da hat Olmi keine Chance.

Karthause und auch Salome erwähnten oben schon, dass Olmì das Wesen der Deprression sehr gut einfängt. Diesen Eindruck hatte ich auch, obwohl ich hier (zum Glück) keine eigenen oder unmittelbaren Erfahrungen habe. Die kaputte Psyche der Mutter wird dermaßen eindringlich geschildert, dass man als Nichtbetroffener eine ungefähre Ahnung bekommt, wie sich Depressionen "anfühlen" könnten: Diese Ausweglosigkeit, Trostlosigkeit, Zukunftsangst, gemischt mit guten Vorsätzen, Rechtfertigungen vor sich selber.

Was mir bei diesem Buch etwas "Zuviel" war, etwas übertrieben vorkam: der viele und ständige Regen, das tosende, stürmische Meer, die Kälte, das schmutzige, heruntergekommene Hotelzimmer .... irgendwie war alles nur mehr grau, nur mehr Weltuntergang. Die Atmosphäre wäre mit der Beschreibung des psychsischen Zustandes der Mutter und ihrem Verhalten schon abgründig genug und finde ich, dass Olmi mit dem ganzen "Drumherum" übers Ziel geschossen hat.

:stern: :stern: :stern:
Herzliche Grüße
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Re: Olmi,Véronique - Meeresrand

Beitragvon Karthause » 17.03.2010, 12:23

Pippilotta hat geschrieben:Was mir bei diesem Buch etwas "Zuviel" war, etwas übertrieben vorkam: der viele und ständige Regen, das tosende, stürmische Meer, die Kälte, das schmutzige, heruntergekommene Hotelzimmer .... irgendwie war alles nur mehr grau, nur mehr Weltuntergang. Die Atmosphäre wäre mit der Beschreibung des psychsischen Zustandes der Mutter und ihrem Verhalten schon abgründig genug und finde ich, dass Olmi mit dem ganzen "Drumherum" übers Ziel geschossen hat.


Sie wollte sicher durch das Wetter die Depression in eine andere Dimension heben. Obwohl ich diese Krankheit bei meiner Mutti ja hautnah miterlebt habe, fehlt mir immer noch das Verstehen. Ich schäme mich fast ein wenig dafür. Olmis Buch habe ich noch gut in Erinnerung und es hat mir ein wenig dieses Heruntergezogensein verdeutlichen können.
Viele Grüße
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