Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Bowen, Elizabeth - Der letzte September




Bowen, Elizabeth - Der letzte September

Beitragvon Krümel » 28.12.2009, 12:21

Bild

Ein getreues Zeitbild!

Viel Handlung hat dieser Roman nicht vorzuweisen, es ist eher die Situation und die Atmosphäre die transportiert werden.

1920. Kurz bevor die irische Republik ausgerufen wird, wird Irland von britischen Streitkräften patrouliert, um die irischen Rebellen aufzuspüren. Das ist die politische Situation, die eine tiefe Ebene einnimmt, aber außen vor, die Hauptebene, reflektiert die höhere irische Gesellschaft. (Oberflächlich, sich der Lage nicht bewusst, oder diese wird absichtlich beiseitegeschoben.)

Der Roman beginnt mit der Ankunft der Montmorencys. Ganz ausführlich wird Small-talk gehalten, das Tee Zeremoniell eingehalten und das Gepäck versorgt. Die Landgutbesitzer führen ihr traditionelles Leben wir vor 100 Jahren, nichts deutet daraufhin, dass erst kürzlich der I. Weltkrieg beendet wurde und in welcher Lage sich Irland befindet.

Die Verbindung zu diesen beiden Ebenen schnürt Lois, die sich in einem britischen Offizier verliebt. Die Liebenden haben sich bei den zahlreichen Tennisturnieren kennen gelernt. Aber damit beginnt dann die Handlung zu knistern, denn trotz der guten Beziehungen zu den Briten, ist er den Iren als Ehepartner dann doch nicht recht …

Ganz eindeutig lebt dieses Buch von dieser prickelnden Atmosphäre, und nach und nach entdeckt der Leser auch warum diese Situation so prekär ist. Ferner vom Stil: Da sind beispielsweise Dialoge, die in Monologe übergehen und dennoch abwechselnd geführt werden. Handlungssprünge oder Gedankenssprünge, auch surreale Elemente werden eingeflochten, in denen sich Wahrnehmungen und Wirklichkeit miteinander vermischen.

>>Die Straße war steil und das Pferd entschlossen zu traben; es stolperte; sie zog scharf an den Zügeln. Sie hätte gerne vergessen, dass sie überhaupt fuhr.<<

Die Autorin ist somit durchaus mit Henry James oder Virginia Woolf zu vergleichen, doch leider viel weniger bekannt. Vielleicht trägt diese Besprechung ein wenig dazu teil, dass sich das ändert.

>>Mrs. Montmorency und Laurence waren im Salon. Sie wirkten nervös, nichts deutete die Richtung des Gesprächs an. Der fahle Raum erhob sich zu einer Höhe, zu der sich nur Spiegel vorwagten: über die Ebene dessen hinaus, wo man sich aufhielt; der überdimensionale, leere Bereich ließ Menschen und Möbel darunter stets winzig erscheinen. Die hohe Decke lastete mit ihrem nackten weißen Rechteck auf dem Bewußtsein, unter ihr wartete ein kristallklares, aus einhundertfünfzig Jahren Konversation herausdestilliertes Schweigen. Stimmen, die in dieses Schweigen hinaufstiegen, wurden immer leiser und würdevoller. Nun stiegen allerdings keine Stimmen auf; Mrs. Montmorency und Laurence hatten einander den Rücken zugewandt.<<

Elizabeth Bowen wurde 1899 in Dublin geboren. Sie studierte nach dem I. Weltkrieg in London Kunst und veröffentlichte 1923 ihren ersten Erzählband. Insgesamt veröffentlichte sie 27 Bücher, wobei „Der letzte September“ von 1929 aber erst 2001 ins Deutsche übersetzt wurde. 1973 verstarb die Autorin in England.

Bewertung: :stern: :stern: :stern: :stern:
BildLiebe Grüße,
Krümel



:lesen3: Klaus Mann - Mephisto
Gedankenwelten
Benutzeravatar
Krümel
Chefkrümel
Chefkrümel
 
Beiträge: 13522
Registriert: 18.04.2006, 23:00
Wohnort: Ostfriesland

von Anzeige » 28.12.2009, 12:21

Anzeige
 


Ähnliche Beiträge


Zurück zu Belletristik/Unterhaltungsliteratur/Erzählung

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron