Nachdem Krümel schon mal den Vorschlag gemacht hat ,man könne auch während des Lesens seine Eindrücke weitergeben - greife ich den Gedanken auf und schreibe (oder versuche) ein kleines Lesetagebuch zu erstellen.
Eigentlich war ich der festen Überzeugung das Thema Goethe nach allen Seiten abgedeckt zu haben. Jetzt entdeckte ich ihr neues Buch, dass mir schon nach kurzem Querlesen einen Geburtstagsgutschein aus der Tasche gezogen hat.
Wie auch schon in "Christiane und Goethe" hat Sigrid Damm intensiv recherchiert und ihre Rückschlüsse sind sehr beeindruckend.
Es beschreibt die letzten Jahre des hoch betagten Genies mit menschlichen Schwächen. Sofort habe ich das Gefühl noch nie so viel über Goethe erfahren zu haben wie in diesen Seiten. Seine Gedanken zum Alter machen mich nachdenklich, amüsieren mich zum Teil auch. Bei einer damaligen Alterserwartung von 35 Jahren (laut S.Damm) kann er auf ein erfülltes Leben zurückblicken. Doch es ist mehr als ein Blick zurück. Er sagt dem Nachlassen körperlicher Fähigkeiten mit enormer Geistessteigerung entgegengetreten zu sein und spekuliert mit Zwinkern (nehm ich mal an) zu welch Taten er noch die nächsten 4o Jahre in der Lage wäre, wenn man ihn ließe.
Er schreibt "Faust Teil II" endlich fertig. Eine Arbeit, die er nicht mehr zu hoffen gewagt hat, ihn nun nach Vollendung erleichtert und befriedigt.
Sein Blick zur Außenwelt bleibt offen und sein Interesse für die neuesten Entwicklungen in Kunst und Kultur, Politik, Technik und Naturwissenschaften stets vorhanden. Er beschäftigt sich mit Farbenlehre, Morphologie (Lehre von der Gestalt u. Formenbildung) und Geologie. Seine Tage sind stets zu kurz. Über Einsamkeit kann er sich auch nicht beklagen. Er lädt und empfängt fast täglich Gäste und hält Briefkontakte zu Zeitgenossen im Ausland und gerne auch zur jungen Generation.
Das eigene Land behandelt er zumindest öffentlich etwas sträflich. Ihm sind Angriffe und Kritik auf seine Person durchaus bewußt. Die schnelllebige Welt mit all ihrer Technik, die zu mehr Geschwindigkeit verhelfen soll, beobachtet er skeptisch, manchmal ablehnend, sieht er doch die Gefahr des Verlierens auf anderen Gebieten. Auch beklagt er die Einsamkeit durch das Fehlen von Gleichdenkenden um sich und deren Unvermögen auf dieser Erde noch eine Weile durchzuhalten. Wäre er jünger würde er sogar ans Auswandern denken. Amerika kommt ihm in den Sinn, aber er erkennt dass sich dieses Land schon selbst eingeholt hat. Aber wir wäre es mit einer pazifischen Insel? Ich erlaube mir ein breites Grinsen.
So zahlreich sind seine Gedanken - immer wieder lege ich das Buch zur Seite, um mir die letzten Sätze noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Krankheiten trieben ihn schon immer zur Flucht, seine Gedankenwelt ist klarer denn je, aber auch die Gewissheit jeden Tag als Geschenk betrachten zu dürfen.
Eines sei schon jetzt gesagt. "Goethes letzte Reise" ist kein Einsteigerbuch. Ich bin froh auf genügend, wie ich hoffe,Informationen
und Wissen zurückgreifen zu können. Sigrid Damm macht, zumindest bis jetzt, keine ausführlichen Erklärungen mehr zu einzelnen Personen, was ich verstehen kann, sie würden das Buch sprengen. Zu vielfältig sind die letzten Jahre Goethes und seines Umfelds.
Daher ein nicht einfach zu lesendes Buch. Manchmal muß ich meine Erinnerungen erst wieder hervorholen und überdenken. Dazu werde ich mir Zeit lassen und wenn es euch recht ist und interessiert jeden Tag ein wenig darüber berichten.
Ich picke nur einige wenige prägnante Stellen heraus und versichere euch nicht zu viel Preis zu geben. Sollte irgendwann einmal eine LR zustande kommen, würde ihr außer meinen geschilderten Empfindungen und Überlegungen nichts vorweggenommen.
Ich bin gespannt auf eure Reaktion.
Liebe Grüsse
Wirbelwind