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Geiger, Arno - Alles über Sally




Geiger, Arno - Alles über Sally

Beitragvon Karthause » 27.05.2010, 08:50

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Gebundene Ausgabe: 363 Seiten * Verlag: Hanser * ISBN-13: 978-3446234840

Seit 30 Jahren sind Sally und Alfred verheiratet. Diese lange Zeit spürt man in ihrer Beziehung, längst haben sich Alltag und Gewöhnlichkeit in der Ehe breit gemacht. Das Leben geht seinen Gang, bis sie im Urlaub in England die Mitteilung erreicht, in ihr Haus in Wien sei eingebrochen worden. Die Wohnung wurde verwüstet. Auch Alfreds Tagebücher, die er seit gefühlten Ewigkeiten akribisch führt, wurden von den Einbrechern nicht verschont. Alfred versinkt in Selbstmitleid und bricht sich schließlich noch ein Bein. Sally dagegen, die Unstete, die Impulsive, die Lebenshungrige, wird aktiv. Sie renoviert das Haus und stürzt sich in eine Affäre mit Erik, dem Freund der Familie. Die Kinder zeigen sich mehr oder weniger desinteressiert. Die Rollen sind in dieser Ehe seit langem verteilt, Sally ist die Starke, Alfred eher schwach, fast schon ein Langweiler. Aber sie haben sich arrangiert.

Mit diesem Buch erging es mir wie in einer langen Beziehung, Höhen und Tiefen wechselten ab. Eintönigen Stellen folgten kurzweiligen, in gegenwärtige Betrachtungen wurden geschickt Rückblenden eingebaut. Die beiden Eheleute wurden so treffend realistisch charakterisiert, dass beim Lesen bald ein vertrautes Gefühl bei mir aufkam. Beeindruckend empfand ich, wie genau Arno Geiger die kleinen alltäglichen Situationen im Ehealltag schilderte und wie gut er sich in das Seelenleben seiner Protagonistin einfühlen konnte.
„Alles über Sally“ ist ein Roman der „Brüche“, neben den handlungsbedingten Brüchen, Einbruch, Beinbruch und Ehebruch, gibt es fast ganz am Ende noch einen Stilbruch. „Alfreds Monolog“ unterscheidet absolut vom Stil der vorangegangenen und dem noch folgenden Kapitel. Damit setzt Geiger einen augenfälligen Kontrast und grenzt Alfred ganz deutlich von Sally ab.
Am Ende zeigt Arno Geiger auf, dass die Ursache für Sallys Ehebruch nicht einzig in ihrer Person begründet liegt. Sie ist zwar die Titelgeberin und Hauptfigur des Romas, aber auch Alfreds Innenleben wird beleuchtet und so zeigt sich, das der penible Tagebuchschreiber auch andere Facetten besitzt und nicht nur ein Langweiler ist.
Bis zum Schluss stellten sich ich mir die Fragen, was hält diese Ehe zusammen, führen die beiden überhaupt eine glückliche Ehe? Für mich habe ich diese Fragen beantwortet. Aber genau diese Antworten können sicher von Leser zu Leser unterschiedlich ausfallen und das ist das, was „Alles über Sally“ ausmacht. Dieses Buch lädt förmlich ein zum Reflektieren, zum Werten, zum Vergleichen.
Mir hat dieser Alltagsroman mit Szenen einer Ehe sehr gut gefallen. Der hintergründige Humor des Autors, die nüchterne Bestandsaufnahme der Ehesituation, die gelungenen Charaktere der Protagonisten und die feinfühligen Beschreibungen derer Gefühle trösteten mich über die oder andere gefühlte Länge hinweg.

:stern: :stern: :stern: :stern:
Zuletzt geändert von Karthause am 22.01.2011, 22:32, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Geiger, Arno - Alles über Sally

Beitragvon Susannah » 27.05.2010, 13:15

Danke für die sehr aufschlussreiche Vorstellung, Karthause! Ich bin schon ein paar Mal um das Buch geschlichen, habe es aber bisher nicht mitgenommen.

Mein Geburtstagsgutschein liegt hier auf dem Schreibtisch und vielleicht werde ich ihn morgen gegen "Sally" eintauschen. Arno Geigers Art zu schreibe mag ich sehr, auch wenn mich die "Kleine Schule des Karussellfahrens" nicht sehr vom Hocker gehauen hat. Aber "Es geht uns gut" und "Schöne Freunde" haben mir doch recht gut gefallen.
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Re: Geiger, Arno - Alles über Sally

Beitragvon Susannah » 29.05.2010, 18:26

...gekauft. :D
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Re: Geiger, Arno - Alles über Sally

Beitragvon Karthause » 29.05.2010, 18:38

Dann hoffe ich, es gefällt auch dir. Viel Spaß beim Lesen!
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Re: Geiger, Arno - Alles über Sally

Beitragvon Susannah » 22.07.2010, 06:10

Ja, es hat mir gefallen. Sehr sogar.

Ich fand es auch sehr verblüffend, wie sich Arno Geiger in Sally hineinversetzen konnte. Das finde ich schon sehr bemerkenswert, denn was er schreibt, ist absolut glaubwürdig und realistisch. Immerhin ist Sally eine Frau in den 50ern und Arno Geiger ein Mann von 42. (Er hat übrigens heute Geburtstag! :wink: )

Besonders gut gefallen hat mir der von dir erwähnte Monolog Alfreds. Plötzlich sieht man ihn mit ganz anderen Augen. (Abgesehen davon, dass das wohl der längste Satz ist, den ich jemals gelesen habe...!!)

Auch die Beschreibung der Kinder hat mir gut gefallen und ich fand durchaus Parallelen zu unserer Familie; auch zwei Mädchen, ein Junge, die verschiedener nicht sein könnten.

Nach "Es geht uns gut" hat mich Arno Geiger ein weiteres Mal überzeugt und ich komme wohl nicht umhin, mir auch noch die Geschichtensammlung "Anna nicht vergessen" zuzulegen.

Von mir gibt´s für Sally :stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
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Re: Geiger, Arno - Alles über Sally

Beitragvon Katia » 29.12.2010, 23:03

Nach dem ich im Frühjahr Arno Geiger aus Sally habe lesen hören, habe ich das Buch jetzt endlich auch ganz gelesen. Inhaltlich lässt sich zu dem vom Karthause Gesagten nicht mehr viel hinzufügen: die Geschichte einer Ehe, mal wieder eines Ehebruchs, einer ganz normalen Familie. Vielleicht ist es das, was mir an dem Roman so gefallen hat: die Normalität, Aspekte, die man aus dem eigenen Leben kennt, Überlegungen, Gefühle, das Auf und Ab einer jeden Beziehung, und trotzdem ihre Stabilität. Längen habe ich beim Lesen keine empfunden, auch wenn es kein "Pageturner" ist. Aber das muss es auch nicht sein, würde der Geschichte gar nicht gut zu Gesicht stehen. Die moderne Effi-Anna-Emma Sally hat sich aus dem tragischen Korsett ihrer Vorgängerinnen befreit, auch Sie eine starke Frau, neben einem vielleicht nicht schwachen, aber doch antriebsarmen Mann. Gesellschaftliche Tabus sind nicht mehr zu brechen, es geht "nur" noch um die Gefühle der Beteiligten, doch einfacher macht es auch dies nicht....

:stern: :stern: :stern: :stern:

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