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Lampe, Friedo - Am Rande der Nacht




Lampe, Friedo - Am Rande der Nacht

Beitragvon Monika » 26.10.2014, 18:34

Viele Geschicke weben neben dem meinen,
Durcheinander spielt sie alle das Dasein.
Hugo von Hofmannsthal

Dieses Motto ist einem wunderbaren kleinem Roman aus dem Jahr 1934 vorangestellt, dessen Autor leider schon fast völlig in Vergessenheit geraten ist. Das Buch hat keine durchgehende Handlung, sondern ist ein Kaleidoskop von lauter kleinen, aneinander gereihten Szenen, die sich zwischen Abenddämmerung und Morgengrauen in einer norddeutschen Hafenstadt abspielen und die Schicksale von etwa dreißig Personen wie beiläufig streifen. Hauptakteurin ist die Nacht, die Stunden der Ruhe und Entspannung, aber auch der verdrängten Ängste, heimlichen Wünsche und wirren Träume. Die Musik spielt ebenfalls eine Rolle, auch sie an unbewusste Schichten rührend und unterschiedliche Emotionen weckend: die klaren Töne einer Flöte, die durch die Nacht ziehen, das animierende Spiel einer Jazzkappelle in einem Lokal, der anrührende Gesang eines Kindes bei einer Vorstellung. Ein drittes Leitmotiv ist die Zeit selbst, die je nach Gemütslage für den einen schnell, für den anderen quälend langsam vergeht, und doch für alle gleichermaßen unerbittlich voranschreitet.

Es beginnt mit friedlichen abendlichen Szenen: Kinder beobachten fasziniert Ratten im Stadtgraben, ein Vater liest seinen Söhnen in der Gartenlaube aus einem Abenteuerroman vor, im Varieté "Astoria" stimmen sich die Gäste bei Musik und Alkohol auf das bunte Programm ein, ein Mann steht am offenen Fenster und spielt auf seiner Flöte eine Melodie von Bach. Doch langsam nimmt die Stimmung eine dunklere, trübere Färbung an. Der Sterbende in seiner Kammer hört die Flötenmusik nicht mehr, auch das in einem Alptraum befangene kleine Mädchen hört sie nicht und den alten Mann quält sie nur, weil sie ihn seine Einsamkeit nur noch stärker spüren lässt. Auch erotische Sehnsüchte und Verstrickungen werden sichtbar, ein Schiffssteward erträgt mit masochistischer Ergebenheit die Schikanen seines sadistischen Kapitäns, ein alternder homosexueller Ringer macht sich vor seinem jungen Herausforderer lächerlich, eine Frau sucht in den Kneipen nach sexuellen Abenteuern und lässt sich sogar mit einem Farbigen ein, während sich ihr Mann am Tisch betrinkt. Dass der Roman gleich nach seinem Erscheinen von den Nazis verboten wurde, war kein Wunder, unverständlicher dagegen die Empörung vieler Bremer Bürger. Denn so realistisch diese Szenen auch sind, nirgendwo ist die Darstellung grell, obszön oder platt, im Gegenteil der Autor zeichnet sehr behutsam und zurückhaltend, in leisen poetischen Tönen die inneren Dramen des Lebens, die Einsamkeit, Enttäuschung und stille Verzweiflung der Menschen nach. Manchmal nur andeutend, wenn beispielsweise ein Moment der Unstimmigkeit zwischen einem jungen Ehepaar geschildert wird, der sofort wieder vorübergeht und doch bedrohlich die Zerbrechlichkeit dieser Ehe aufscheinen lässt, manchmal etwas ausführlicher, wie bei der traurigen Geschichte des vom Vater als Demonstrationsobjekt für seine Hypnoseshow missbrauchten Kindes.

Der Roman ist komplexer angelegt, als es auf den ersten Blick scheint. Hinter der realistischen Abbildung einer Wirklichkeit mit ihren ruhigen und idyllischen, dunklen und hässlichen Aspekten liegt eine über sie hinausweisende Ebene des Beunruhigenden, Bedrohlichen, Geheimnisvollen mit und erzeugt die besondere Atmosphäre dieses Romans, die sich am besten mit den Worten wiedergeben lässt, mit denen das Flötenspiel beschrieben wird: "nicht eigentlich froh, nicht eigentlich traurig, und doch immer ein wenig klagend." Friedo Lampe wurde 1899 in Bremen geboren und arbeitete nach seinem Studium als Bibliothekar und Lektor, u. a. im Berliner Rowohlt-Verlag. Wegen einer Gehbehinderung infolge einer Knochentuberkulose im Kindesalter war er vom Kriegsdienst freigestellt. In den letzten Kriegstagen wurde er im ausgebombten Berlin von sowjetische Soldaten auf der Straße angehalten und überprüft. Weil er so stark abgemagert war, dass er seinem Passbild nicht mehr ähnlich sah, hielten sie ihn für einen untergetauchten SS-Mann und erschossen ihn an Ort und Stelle. Er hinterlässt nur ein schmales Werk. Neben einem weiteren kleinen Roman ("Septembergewitter") noch einen Band mit Erzählungen und einige Gedichte.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

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Re: Friedo Lampe - Am Rande der Nacht

Beitragvon Krümel » 27.10.2014, 10:53

Das Problem mit dem Bild anhängen, hatte ich letztens auf meinem Blog auch - ellenlanger Text aber kein Bild. Wie hast du das denn jetzt geschafft? Ich habe einfach das Bild von einer anderen Seite genommen, also nicht von Amazon.
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Re: Friedo Lampe - Am Rande der Nacht

Beitragvon Monika » 27.10.2014, 11:13

Krümel hat geschrieben:Das Problem mit dem Bild anhängen, hatte ich letztens auf meinem Blog auch - ellenlanger Text aber kein Bild. Wie hast du das denn jetzt geschafft?

Das war purer Zufall. Amazon hat die Webseite umgestellt. Direkt unter den Abbildungen der Bücher befindet sich jetzt immer noch eine kleine Abbildung, die nur das obere Drittel dieser Bücher zeigt. Darunter steht: "Dieses Bild verwenden." Dort musst Du die Grafikadresse kopieren. Dann geht es wieder.

Wieso wird das Wort Amazon eigentlich automatisch in einen Link umgewandelt?
Gruß Monika


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Re: Friedo Lampe - Am Rande der Nacht

Beitragvon Krümel » 27.10.2014, 11:17

Monika hat geschrieben:Wieso wird das Wort Amazon eigentlich automatisch in einen Link umgewandelt?


Damit verdient der Betreiber dieser Seite Geld :mrgreen:

Danke ich werde mal schauen!
BildLiebe Grüße,
Krümel



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