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Michaels, Anne - Fluchtstücke




Michaels, Anne - Fluchtstücke

Beitragvon Krümel » 27.07.2007, 10:15

[center]Fluchtstücke von Anne Michaels

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Eine atemberaubende Sprache, die mit der Zeit im Meer des Vergessens untergeht.

Dieser Roman beginnt mit einem Ereignis, das Vernichtendes in einem Menschen auslösen kann, unvergessen bleibt, und vielleicht nie enden wird. Der kleine Jakob verliert seine Familie in den Schrecken des II. Weltkriegs ...
Er kommt davon, und läuft hinaus in den Wald. Ebenfalls auf der Flucht ist Athos, ein Archäologe aus Griechenland, der in Polen gearbeitet hat. Sie treffen sich, und ohne zu überlegen nimmt dieser weise Mann den Jungen mit nach Hause, auf seine Insel, und rettet ihm dadurch das Leben; sowie gleichzeitig sein Leben wieder einen Sinn bekommt. Die Beziehung, die sich zwischen beiden bildet, ist so liebevoll, gütig und rein; selten habe ich eine solche Harmonie in Büchern gelesen.

Eigentlich trägt die Sprache im Roman den Verlauf der Handlung. Die Sprache, die hier in diesem Werk zu keiner Steigerung mehr fähig ist, wächst mit dem Gefühl der Zugehörigkeit zwischen Athos und Jakob, flacht nach Athos Tod ab, wird karg und unversöhnlich. Gedanken wie, es ist keine Versöhnung möglich, da es Unrecht an den Toten sei, finden dort ihre Aneinanderreihung, und aus dieser Krise auch wieder heraus.
Fluchtstücke sind frierende Gedankenstücke aus Erinnerungen einzelner Schicksale. Nur die Liebe kann heilen, und die Sprache trägt dann diese Heilung, und verebbt sobald die Liebe die Trauer nicht mehr tragen kann.

Ein einzigartiger Roman mit einer faszinierenden Sprache, jedoch mit Handlungsschwächen. Ich halte ihn für ein lyrisches Experiment, und freue mich auf weitere Übersetzungen von Anne Michaels.

Kostproben:
„Die Schattenvergangenheit ist aus all dem gemacht, was nie geschah. Unmerklich formt sie die Gegenwart wie Regen den Karst. Eine Biographie der Sehnsucht. Sie steuert uns wie ein Magnet, wie eine Antriebswelle des Geistes. Deshalb trifft einen ein Duft so schwer, ein Wort, ein Ort, das Foto eines Berges von Schuhen. Eine Liebe, die den Mund schließt, bevor sie den Namen ruft.“ Seite 23

„Trauer braucht Zeit. Wenn ein Steinsplitter seine Existenz, seinen Atem, so lange ausstrahlt, wie beharrlich wird die Seele sein. Wenn Schallwellen unendlich weit in das All hinausgehen, wo sind ihre Schreie jetzt? Irgendwo in einer Galaxie stelle ich sie mir vor, wie sie ewig den Psalmen entgegentreiben.“ Seite 66

Bewertung: :stern: :stern: :stern: ( :stern:)
BildLiebe Grüße,
Krümel



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von Anzeige » 27.07.2007, 10:15

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