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Murakami, Haruki "Wilde Schafsjagd"




Murakami, Haruki "Wilde Schafsjagd"

Beitragvon marilu » 14.12.2006, 18:35

Inhalt:

Klappentext

Personen und Zutaten: der dreißigjährige namenlose Held, geschieden, intelligent, müde. Sein Partner: Ein Trinker. Seine Freundin: ein etwas gewöhnliches Mädchen mit übersinnlich schönen Ohren. Außerdem der Alte, gequält von einem golfballgroßen Gehirntumor; ehemaliger Kriegsverbrecher, Boß der Rechten und Ultrarechten, Herr über ein Imperium aus Politik, Finanzen und Massenmedien. Und dessen Sekretär: ausgebildet in Amerika und effizient bis zur Perfektion. Vor allem aber das Schaf.

Meine Meinung:

Mein 1. Murakami! Und was für ein Einstieg! Ich bin immer noch platt von der Geschichte, die sowas von wirr und skurril ist, das ich wohl das Ende nicht wirklich verstanden habe... :grübel:

Der namenlose Ich-Erzähler wird gegen seinen Willen in die Suche nach einem ganz besonderen Schaf hineingezogen. Er wird entführt, erpresst und überrumpelt. Und dennoch versucht er so zu handeln, wie es ihm richtig erscheint.

Wovon der Roman handelt, wird auch erst nach ca. einem Drittel klar. Den Anfang (der Bericht über seine Ex-Freundin) fand ich etwas überflüssig, zumal er für den Roman absolut unwichtig ist. Nach dem ersten Drittel steigerern sich das Tempo und die Faszination, bevor letztere zwischendurch abfällt, weil man zu wissen meint, was noch kommen muss. Einige Seiten lang habe ich den Roman nur noch überflogen, bevor ich über einen Satz stolperte, der mir wieder klar machte, warum das Buch so geschrieben ist, wie es geschrieben ist.
Bereits am Anfang sagt der Ich-Erzähler: "Mir fällt immer viel auf, wenn es zu spät ist." (S. 19) - auf S. 229 wiederholt er sich: "Die wichtigsten Sachen fallen mir immer erst hinterher ein. Es hätte mir gleich auffallen müssen, ..."
Wir erleben die Geschichte also wirklich aus der Sicht des Erzählers mit. Danach hat mich sein schleichendes Vorangehen nicht mehr so gestört.

Ich hatte mitunter das Gefühl, dass Murakami genau weiß, was er sagen will, aber einige Nebenhandlungen einfach vergaß einzubinden, anzuknüpfen oder auszublenden.
Spoiler hat geschrieben:z. B. wird Rattes Roman erwähnt, der in der Schublade des Erzählers verschwindet. Danach wird er nie wieder in die Handlung eingebunden... dabei stünde darin doch sicher seine Geschichte mit dem Schaf... Ich hätte erwartet, dass der Erzähler wenigstens so etwas sagt wie: "Wie konnte ich nur so dumm sein, mich nicht an den Roman zu erinnern!" oder sowas...


Ich hatte zwar vermutet, dass

Spoiler hat geschrieben:Ratte Wirt des Schafes wurde. Dass er es und sich aber umgebracht hat, wäre mir nie in den Sinn gekommen! Meine Intuition hat hier kläglich versagt! Verdammt


Abschließend noch eine Frage an euch: für was steht eurer Meinung nach das Schaf?! Eigentlich hätte sich der Roman hervorragend für eine Leserunde geeignet, weil zu der Frage sicher viele unterschiedliche Meinungen (oder zumindest Ausprägungen) zum Diskutieren entstanden wären.

Ich habe es so aufgefasst, dass

Spoiler hat geschrieben:das Schaf für das Machtstreben der Menschen steht. Ihre "Dummheit", Mittelmäßigkeit und Langeweile als tadelnswerte Werte zu betrachten statt des Strebens nach Ruhm, Geld und dem konsumorientierten Leben. Irgendwie stellt es zudem eine Gesellschaftskritik dar, die mit denjenigen hadert, die ihren freien Willen aufgegeben und sich angepasst haben egal ob dies ihren Überzeugungen entspricht oder nicht.


Bin schon gespannt auf die Fortsetzung "Tanz mit dem Schafsmann" und das viel gelobte "Naokos Lächeln". Mein Dank gilt Pippi, ohne deren Rezension zu "Naokos Lächeln" dieser Roman noch immer bei mir subben würde.

:stern: :stern: :stern: :stern:

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Beitragvon Voltaire » 14.12.2006, 18:59

Herzlichen Dank für deine Rezi! Ich glaube, ich werde mich jetzt auch mal an den Murakami herantrauen. Habe bisher von ihm noch nichts gelesen. Aber aufgrund deiner Rezi gibt es nur keinerlei Ausrede mehr, diesem Autoren aus dem Weg zu gehen. :D
Voltaire
 

Beitragvon marilu » 14.12.2006, 19:14

Freut mich, wenn dich die Rezi angesprochen hat. Es wurde allmählich Zeit, dass ich dir deine tollen Empfehlungen mal heimzahle. :)

In dem Roman steckt noch viel mehr, als ich oben erwähnt habe - so gibt es auch noch eine übersinnliche Handlung, eine Liebesgeschichte und Informationen rund um die Schafzucht in Japan. So eine Vielfalt gehört für mich zu den besonderen Büchern!
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Beitragvon Karthause » 14.12.2006, 19:21

Bisher habe ich auch noch nichts von Murakami gelesen, das dürfte aber die längste zeit gedauert haben. Aber erst einmal werde ich in der Bibliothek nach ihm Ausschau halten. :wink:
Viele Grüße
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Beitragvon Pippilotta » 15.12.2006, 08:05

@marilu: Es freut mich, dass Dir Murakami gefällt.

Allerdings (wie auch im BT schon diskutiert) lässt Murakami sehr gerne einiges "offen". Das war bei "Gefährliche Geliebte" (mein erster Murakami) für meine Begriffe fast zu viel. Es gab nämlich auch keine Andeutungen in irgendeine Richtung, die man interpretieren hätte können.
Allerdings habe ich auch irgendwo gelesen, dass bei "Gefährliche Geliebte" die Übersetzung sehr zu wünschen übrig lässt. Vielleicht liegt es daran.

Bei "Naokos Lächeln" sind mir ungeklärte, offene Aspekte nicht aufgefallen. Wäre vielleicht dann als Einstieg empfehlenswert.

Bei mir subt "Mister Aufziehvogel" und "Nach dem Beben", auf jeden FAll möchte ich aber auch "Kafka am Strand" lesen, dieses Buch wird sehr gelobt.
Herzliche Grüße
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Beitragvon wolves » 15.12.2006, 10:06

Dann werde ich wohl mit "Naokos Lächeln" beginnen. Das Buch habe ich ja sozusagen Pippi und ihrer tolle Rezi zu verdanken :wink: "Nach dem Beben" liegt bei mir auch schon länger auf meinem SUB.
"Wilde Schafsjagd" hatte ich auch schon mal in meinen Händen gehalten und durchgeblättert. Konnte aber zu dem Zeitpunkt nicht wirklich etwas damit anfangen. Es hatte einfach so "abgedreht" geklungen. Aber auf das Buch bin ich jetzt nach marilus Rezi auch neugierig geworden.
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon Pippilotta » 02.05.2008, 20:23

In "Murakamis Universum" einzutauchen ist ein Lesevergnügen der besonderen Art. Jedoch sollte man Konventionen vergessen und auch die beiden Füße nicht ganz so auf dem Boden belassen.

In "Wilde Schafsjagd" machte ich Bekanntschaft mit einem - fast typischen - Murakami-Held (namenlos, single, gescheiterte Beziehung, durchwachsenes Beruflseben, etwas ziellos und eher unkoventionell). Auch seine Freundin erinnert mich an Frauengestalten aus seinen anderen Büchern. Geheimnisvoll, rätselhaft, mit übersinnlichen hellseherischen Kräften versehen und mit außergewöhnlich betörenden Ohren.

Wohin die Geschichte führt - und was sich hinter der Schafsjagd verbirgt, erschließt sich dem Leser erst nach einigen Seiten und selbst dann rätselt man bis zum Ende, was es denn mit diesem Schaf auf sich hat. Themen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft werden ebenso berührt wie die Geschichte der Schafzucht in Japan. Dabei entstehen so irrwitzige, absurde Situationen und es wäre kein Murakami, würden diese Situationen nicht als alltäglich dargestellt.

Ich stimme marilu zu, ich denke, das Schaf sollte ein Sinnbild sein

Dabei gefällt mir Deine Idee vom Machtstreben recht gut. Das Schaf bewirkt in seinem Wirt übernatürliche Kräfte, macht kreativ, stark, mächtig. Es gilt, das Schaf zu "erobern", es sich zunutze zu machen, um jeden Preis und ohne Rücksicht.
.

Ob ich es als Einstieg für Murakami empfehlen kann, weiß ich nicht so recht. Man muss schon Kenner von Murakami sein oder zumindest ein offenes Ohr für ein wenig Fantasy haben, um manche fantastische oder skurrile Situationen so nehmen zu können, wie sie sind. Aber grundsätzlich ein sehr lesenswertes Buch!

:stern: :stern: :stern: :stern:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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