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Olmi, Véronique - Nummer sechs




Olmi, Véronique - Nummer sechs

Beitragvon Krümel » 19.11.2006, 12:04

Nummer sechs von Véronique Olmi

Kurzbeschreibung von Amazon:

Die Geschichte einer lebenserfüllenden und doch ganz und gar aussichtslosen Liebe. Fanny ist die Jüngste in der Familie, die „Nummer sechs“, wie der Vater sie gerne nennt. Der geliebte, stets anderweitig beschäftigte Vater, um dessen Anerkennung sie ein Leben lang kämpft. Als Mädchen ist sie krank geworden, einmal ist sie sogar ins Meer gegangen, damit er sich um sie kümmert. Als Erwachsene hat sie vergeblich versucht, ihn zur Rede zu stellen. Jetzt ist er alt, der Platz an seiner Seite ist mit dem Tod der Mutter freigeworden. Aber lässt sich die Vergangenheit zurückholen?


Meine Meinung:

Dieses Buch ist eine sehr tragische Geschichte, und berührt den Leser sehr tief. Im Vordergrund steht der „Ödipuskomplex“ von Fanny, die aufgrund des Gefühls, da sie ein Nachzögling von zehn Jahren ist, des „Nicht-Gewollt-Seins“, mit sich und ihrer Lebensgeschichte nicht zur Ruhe kommt. Als dann ihr Vater zum Pflegefall wird und sie ihn betreut, ist es leider schon zu spät.
Der zweite Schwerpunkt der Handlung macht der Krieg aus, der sich auch zum Schluss des Buches immer weiter in den Mittelpunkt drängt. Der Vater wurde 100 Jahre alt, ein Jahrhundert, ein Jahrhundert des Krieges, Kriege mit Traumen, die Menschenherzen zerstörten. So gelingt der Autorin ein „Rund-Umschlag“, das verletzte Kind, und die Verletzung des Krieges deren Gefühle und Gedanken identisch sind. >1968 wurde ich wiedergeboren<, Fanny kann sich von ihrem Vater befreien, generell befreit sich die Jugend 68 von den Vätern und dessen Kriegs- „Schuld“.
Obwohl dieses Buch nicht mein Genre ist, „Herz-Schmerz“ ist nicht mein Fall, bin ich sehr beeindruckt von den wenigen Seiten, die reich an Inhalt sind.



:stern: :stern: :stern: :stern:

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Krümel



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von Anzeige » 19.11.2006, 12:04

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Beitragvon Pippilotta » 19.11.2006, 14:21

Das Buch wirkt bei mir ebenfalls noch nach! (Wie so oft bei Büchern, die dem Anschein nach schnell weggelesen sind.... ). Nach den ersten Seiten hatte ich die Angst, dieser Pathos, diese traurige Grundstimmung würde in unerträglichem Kitsch und in Sentimentalitäten enden, doch (Gott sei Dank) bewahrheitete sich das nicht. Ganz im Gegenteil.

Wie gestern schon disktutiert, sehe ich den Krieg eher als Rahmen für die Geschichte, bzw. als Erlebnis, das den Vater sein Leben lang geprägt hat. Vielleicht hat er aufgrund dieser Erlebnisse seine "Fassade" aufgebaut. Sein Leben besteht darin, den Schein zu wahren, sich Problemen nicht zu stellen sondern sie hart und gefühllos zu beseitigen (siehe Sohn Christophe). Ganz eindeutig dafür seine Haltung während des Gottesdienstes - der "Vorzeigechrist" - der im wirklichen Leben übel versagt.

Auch Fanny muss mit Erlebnissen ihrer Vergangenheit leben. Die Demütigungen, das Abgewiesen-werden, das ständige Gefühl des Ungeliebtseins werfen Schatten auf ihr ganzes Leben. Im Gegensatz zu ihrem Vater stellt sie sich ihren Gefühlen, versucht sie zu ergründen. Sie geht noch weiter - sie versucht, ihren Vater als "Mensch" kennenzulernen, versucht, ihn verstehen zu lernen.

Das Ende des Buches ist famos, tröstlich und todtraurig zugleich, ich möchte es wieder und wieder lesen!

Dieses Buch wird mir als ganz besonderes Buch in Erinnerung bleiben, und ich werde es gerne weiterempfehlen!

:stern: :stern: :stern: :stern: ( :stern: )
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon marilu » 19.11.2006, 16:08

Ich sehe schon, ich muss es wohl auch noch lesen... :? :D
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Beitragvon Siebenstein » 19.11.2006, 18:12

Es lohnt sich, @marilu. Ich kann mir gut vorstellen, dass es dir auch gefällt. :D

Herzliche Grüße
Siebenstein :wink:
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Beitragvon Karthause » 27.11.2006, 19:29

Meine Meinung
Fanny ist der Nachzügler der Familie. Sie ist die Nummer sechs, die Ungewollte. Inzwischen ist sie 50 Jahre alt. Der Vater, für den sie innige Liebe empfindet, sie aber nicht erwidert fühlt, wurde vor kurzer Zeit 100. Ihr Leben lang kämpft Fanny um die Liebe und Anerkennung des Vaters. Die ständigen Zurückweisungen durch den Vater prägen sie und ihr ganzes Leben. Als die Mutter, ihre ewige Konkurrentin, starb, sah sie den Moment gekommen, die Nummer eins an seiner Seite zu werden. Sie kümmert sich um ihn, pflegt ihn. Die anderen Geschwister haben sich aus ihrer Verantwortung gekauft. Fanny liest die Briefe, die der Vater aus dem Krieg an seine Eltern schrieb, versucht mehr über ihn zu erfahren, sie will ihm einfach nahe sein.
In kurzen, knappen Sätzen, fast schon stakkatoartig erzählt Véronique Olmi diese Geschichte. Begebenheiten aus der Gegenwart und Gedanken, Ereignisse und Briefe aus der Vergangenheit lassen den Leser die seelische Not von Fanny hautnah erleben. Vieles reißt die Autorin nur kurz an. Das regt zum Nachdenken an, aber nicht nur bei diesem Buch bleiben die Gedanken, sie wandern ab ins eigene Leben. Was weiß man selbst von seinen Eltern? Was weiß ich alles nicht?
Beim Lesen machte sich etwas Melancholie breit. Resignation dagegen spürte ich nie, nur eine gewisse Traurigkeit im Kampf um Liebe und Anerkennung. „Nummer sechs“ ist ein sehr kurzes Buch, aber es ist von beeindruckender Intensität und Tiefe geprägt. Mich hat es sehr berührt, es hallt immer noch in mir nach.

Auf dem Cover meiner Ausgabe steht folgendes Zitat von Senta Berger. „Das ist ein Buch über Versäumnisse, über Dinge, die man nicht mehr nachholen kann. Es hat mich so berührt.“ Sie spricht mir aus dem Herzen.

:stern: :stern: :stern: :stern:
Viele Grüße
Karthause

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Beitragvon Salome » 08.03.2007, 10:37

Wieder einmal hat Veronique Olmi ihren Platz an der Spitze meiner Lieblingsautorinnen verteidigt. Mit diesem Buch hat sie sich erneut direkt in mein Herz geschrieben.
Ihre Sprache ist melancholisch, gefühlvoll, einmalig Olmi eben.
Sie schafft es mit wenigen Worten eine Tiefe der Figuren zu erschaffen, die man nur bestaunen kann.
Ein kleines, feines Buch, welches ich sicher nochmal lesen werde.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
Salome
 



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