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Orwell, Georg: "1984"




Beitragvon Nerolaan » 22.09.2009, 11:49

wolves hat geschrieben: Vielleicht mag sich bis dahin ja noch der eine oder andere anschließen :D


Vielleicht nicht grade mit Lesen, daher ist es ja noch nicht lange genug wieder her :wink: Aber ich schau sich mal rein und diskutiere vielleicht mit :wink:
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Nerolaan
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Re: Orwell, Georg: "1984"

Beitragvon chip » 30.01.2013, 17:02

Winston lebt in Ozeanien, eines der drei Weltmächte, die jahrelang gegeneinander Krieg führen. Jedenfalls sollen die Bewohner des Staates dies glauben, um Angst zu schüren und um eine Hierarchie beizubehalten, die bei erreichtem Wohlstand eines jeden Einzelnen zu verschwinden droht. Außerdem stellt die permanente Bombardierung von Gütern und ihr Wiederaufbau für einen sicheren Arbeitsplatz bzw. für ablenkende Beschäftigung. Die Beibehaltung der Macht und die unabdingbare Kontrolle über das Volk ist das Ziel der oberen Elite.

Es stellte sich heraus, dass sogar Demonstrationen stattgefunden hatten, um den Großen Bruder für die Erhöhung der Schokoladenration auf zwanzig Gramm in der Woche zu danken. Dabei war erst gestern, so überlegte Winston, bekannt gegeben worden, dass die Ration auf zwanzig Gramm die Woche herabgesetzt würde. War es möglich, dass die Leute das nach nur vierundzwanzig Stunden schlucken würden? Ja, sie schluckten es. Parsons schluckte es mühelos, mit der Dummheit eines Tieres. Das augenlose Geschöpf am Nebentisch schluckte es fanatisch, leidenschaftlich, mit der blindwütigen Sucht, jeden ausfindig zu machen, zu denunzieren und zu vaporisieren, der behaupten wollte, vergangene Woche habe die Ration dreißig Gramm betragen. Stand er, Winston, demnach alleine da, war er der einzige, der ein Gedächtnis hatte?

Angebrachte Televisoren in jedem Raum sorgen für Lauschangriffe, Gesetze sorgen für die Abschaffung von menschlichen Gefühlen. Jeder Akt, jeder Gedanke gegen die Partei wird mit dem Tod bestraft. Kinder werden erzogen, ihre Eltern zu denunzieren. Die Vergangenheit existiert bloß noch in der Erinnerung, während die Erinnerung selbst abstumpft. Das Denken ist im Überwachungsstaat nicht geduldet. Der sprachliche Wortschatz wird derart reduziert, der das Ausdrücken eigener Ideen unmöglich macht. Das menschliche Individuum ist zur leeren, grauen Hülle verkommen, ohne eigene Meinung, ohne Freiheit, ohne Seele.

"Bist du dir bewusst, dass die Vergangenheit, vom gestrigen Tag angefangen, tatsächlich ausgelöscht ist? Wenn sie noch fortbesteht, so nur in ein paar leblosen Gegenständen, die den Mund nicht auftun können, wie dieses Stück Glas dort. Buchstäblich wissen wir bereits so gut wie nichts von der Revolution und den Jahren vor der Revolution. Jede Aufzeichnung wurde vernichtet oder verfälscht, jedes Buch überholt, jedes Bild übermalt, jedes Denkmal, jede Straße und jedes Gebäude umbenannt, jedes Datum geändert. Und dieses Verfahren geht von Tag zu Tag und von Minute zu Minute weiter. Die geschichtliche Entwicklung hat aufgehört. Es gibt nur eine unabsehbare Gegenwart, in der die Partei immer Recht behält. Freilich weiß ich, dass die Vergangenheit gefälscht ist, aber ich könnte es niemals beweisen, sogar in den Fällen, wo ich die Fälschung selbst vorgenommen habe. Nachdem die Sache einmal getan ist, bleibt nie ein Beweisstück zurück. Der einzige Beweis lebt in meinem Geist, und ich hab nicht die geringste Gewissheit, dass auch nur ein einziger Mensch sonst auf der Welt die gleiche Erinnerung hat."

Ein erschreckendes Szenario hat Winston entwickelt, in der der Mensch aufgehört hat, Mensch zu sein. Das düstere Stimmungsbild, die Erzählweise und die entstandene Atmosphäre lassen den Leser erschauern. '1984' ist das konsequent zu Ende gedachte Bild des totalitären Staates.

Der Televisor ist die persönliche Anschaffung eines Jeden, denn Mr Charington meint, er habe kein Interesse an solch modernen Geräten, weshalb er auch keines besitzt. Es ist also die freie Entscheidung eines Jeden, ob er ein Abhörgerät in sein Haus zulässt. Ähnlich wie das aus freien Stücken angeschaffte Handy, der mittels GPS-Funktion den Aufenthaltsort des Nutzers feststellen kann oder die freiwillige Aufzeichnung von Konsumgewohnheiten durch Paybackkarten, mit der Gegenleistung einiger kostenloser Handtücher.
Man könnte spekulieren, ob die Verschwörungstheorien über die Angriffe auf die Zwillingstürme der Wahrheit entsprechen und nur dazu ausgeführt wurden, um einige Gesetze auf den Weg zu bringen und dem Polizeistaat Form zu verleihen. Man könnte überlegen, ob die Handvoll Medienagenturen gezielte, einseitige selektive Informationen verteilen, um das Denken der Bevölkerung zu übernehmen und in die gewünschte Richtung zu lenken...

Irgendwann wird man Orwell vorwerfen müssen, er sei ein Optimist gewesen.
chip
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