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von Schirach, Ferdinand - Verbrechen




von Schirach, Ferdinand - Verbrechen

Beitragvon mombour » 02.01.2011, 15:50

Ferdinand von Schirach: Verbrechen

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Ein Berliner Anwalt schreibt Krimistories. Schreibt er nun über seine eigenen Fälle? Das darf er nicht, weil auch ein Anwalt an dem Paragraphen der Schweigepflicht gebunden ist. Ähnlich, wenn Psychologen über ihre Klienten schreiben, Personen u.a. verfremden müssen, um nicht straffällig zu werden. Außerdem, hier geht es um stories. Eine eins zu eins Übertragung von Realem zur Literatur gibt es nicht. Die stories mögen auf realen Fälle basieren, genug Spielraum für Fiktion bleibt aber bestehen. Dass Fiktion am Werke ist, sieht man auch daran, dass einige stories nach gleichem Schema ablaufen: Das Verbrechen, wie ist es dazu gekommen, die Justiz, oft auch ein überraschendes Ende, ein verblüffender Plot.

Der Leser wird mit unheimlich brutalen Morden konfrontiert, die ohne weiteres aus einem billigen Horrorfilm stammen könnten, aber auch hier bewahrt von Schirach seine stringente lakonische Erzählweise, die mich sprachlos zurücklässt. Vielleicht pervers ausgedrückt, aber so ein Glanzstück von Brutalität in der Literatur ist die Szene auf dem U-Bahnhof in der Geschichte „Notwehr“. Diese story ist sowieso sehr interessant, weil hier nichts nach Schema F abläuft. Wir erinnern uns an eine Nachrichtenmeldung über zwei U-Bahn-Schläger, die einen alten Mann krankenhausreif geschlagen haben. Schirachs Erzählung läuft völlig anders ab, am Schluss ich den Verdacht habe, Schirach könne zwei Fälle zu einer story gemixt haben. Wie anders die Geschichte um den Äthiopier, der eine Bank ausraubt, eine Bankangestellte mit dem Räuber Mitgefühl hat.

Aus der Form einer story fällt Schirach allerdings völlig heraus, wenn er in seinen Geschichten selbst als Fachjustitiar auftritt, entweder als Mitbeteiligter oder als Überbringer von Juristenfachwissen an den Leser. Dieser Fakt schmälert. Das Buch ist ein Pageturner. Die stories sind auf momentanen Unterhaltungswert aufgebaut. Um mich an einige Geschichten wieder zu erinnern, musste ich nach der Lektüre noch mal zurückblättern.

:stern: :stern: :stern:
Liebe Grüße
mombour
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von Anzeige » 02.01.2011, 15:50

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Re: Ferdinand von Schirach: Verbrechen

Beitragvon Pippilotta » 02.01.2011, 17:11

In einem muss ich Dir zustimmen, mombour: Das Buch bleibt nicht lange in Erinnerung, doch das Lesen der Stories fand ich als sehr kurzweilig und wirklich unterhaltend! Schirach ist nicht nur ein erfolgreicher Verteidiger, sondern versteht es auch, seine Geschichten zu formulieren.

Fiktion hin oder her - jeder dieser Fälle hätte passieren können. Was Schirach für mich in erster Linie transportiert ist die Tatsache, dass die Gerichte höchstens Recht aber meist nicht Gerechtigkeit sprechen. Zudem spielt oft der Zufall eine große Rolle, oder auch nur höhere Gewalt.

Ich vergeben für dieses Buch deshalb doch :stern: :stern: :stern: :stern:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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