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Yates, Richard - Easter Parade




Yates, Richard - Easter Parade

Beitragvon Pippilotta » 03.03.2007, 20:01

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Eine „Easter Parade“ findet am Ostersonntag auf der 5th Avenue zwischen 49. und 57. Straße statt. Sie ist eine New Yorker Tradition, die bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zurückgeht, als die soziale Elite nach dem Kirchbesuch die 5th Avenue entlang schlenderte, um ihre neuen Hüte und Kleider bewundern zu lassen. (Glossar, S. 296).
Esther Grimes, genannt Pooky, möchte so gerne zur „besseren Gesellschaft“ gehören. Ihr selber misslingt es, sie wechselt ständig den Job und den Wohnsitz, ihre Ehe scheitert, sie flüchtet sich in den Alkohol und setzt ihre Hoffnungen daran, dass es ihren Töchtern Sarah und Emily besser ergeht.
Während die extrovertierte, hübsche Sarah früh in eine angesehene Familie einheiratet, sesshaft wird und 3 Söhne großzieht, macht die introvertierte, belesene Emily nach ihrem Studium Karriere als Journalistin und Werbetexterin, ist selbstständig, flexibel und unabhängig. Beide scheinen das Leben zu leben, das sie sich immer gewünscht haben, und das auch den Erwartungen ihrer Mutter entspricht.
Doch wie bei der alljährlichen „Easter Parade“ trügt der Schein. Sarahs Ehe ist geprägt von permanenter Geldnot und Brutalität, doch diese Wahrheit sickert nur langsam nach außen durch. Emily hingegen genießt materiellen Wohlstand, stürzt sich von einer Beziehung in die nächste, gerät aber immer wieder an die „falschen“ Männer. Auch sie erkennt, dass ihre tiefsten Sehnsüchte nicht erfüllt werden können. Träume platzen wie Seifenblasen und es fällt allen dreien schwer, sich mit der Realität abzufinden bzw. sich selber einzugestehen, dass ihr Leben in Wirklichkeit ein Desaster ist und am Ende nur eine abgründige Einsamkeit geblieben ist.

Dieses Werk des bereits 1992 verstorbenen Richard Yates erschien im Jahr 1976, wurde aber erst jetzt übersetzt. Ein Blick auf seine Biografie lässt die Vermutung zu, dass er viele persönliche Erfahrungen und Erlebnisse in diesem Buch verarbeitet hat. Yates beschreibt anhand des Schicksals dieser drei Frauen über eine Zeitspanne von 40 Jahren auf sehr nüchterne, düstere, aber eindringliche Weise das Leben des amerikanischen Mittelstandes mitsamt der Sehnsüchte, Träume und auch Verlogenheit. Er vermittelt beeindruckende und beklemmende Einblicke in das Amerika der 30er bis 70er Jahre und mir wurde bewusst, dass es auch heute nichts an Aktualität verloren hat.

Eine absolute, uneingeschränkte Empfehlung nicht nur für Leser, die eine klare, nüchterne Sprache lieben, sich gerne mit den Themen des Lebens auseinandersetzen und nachdenkliche Bücher mögen.

Dies ist eine Buchrezension aus dem Buchprojekt "Heidi Hof" in Zusammenarbeit mit dem Random-House

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Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon Voltaire » 15.03.2007, 15:35

Richard Yates ist ein brillanter Erzähler. Ein Vollbluterzähler, der zu den großen Schriftstellern der zeitgenössischen amerikanischen Literatur gehört. Leider hat er diesen Platz erst nach seinem Tode einnehmen können. Man stelle sich nur einmal vor, ein Buch wie „Easter Parade“ wäre nicht noch einmal aufgelegt worden. Eine Katastrophe! Die Welt wäre deutlich ärmer gewesen. Wenigstens die literarische Welt.
Yates will erzählen und er schafft es mühelos, dass die Leser ihm zuhören, sie hören ihm zu, da er wirklich was zu erzählen hat. Er schwafelt nicht, er schreibt keine Seiten mit irgendwelchem sinnleeren Zeug voll, er schafft vielmehr ein kompaktes Buch, eine wirklich erzählerische Meisterleitung. Yates erinnert manchmal an Hemingway, obwohl er diesem eine ganze Menge voraus hat. Er lebt nicht dessen Männlichkeitswahn. Yates mag die Menschen offenbar und er fühlt mit ihnen, indem er auch über die traurigen Seiten des Menschseins ohne falschen Pathos schreibt. Mitleid findet man bei ihm nicht – aber sehr viel Mitgefühl und Verständnis. Er verurteilt nicht, er schreibt nur auf, er wertet nicht, er beschreibt. Seine handelnden Figuren ist er ein verständnisvoller Vater, der ihr Scheitern aber nicht verhindern kann.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG bezeichnete Yates „als einen Klassiker der amerikanischen Moderne“, ein Urteil dem man sich guten Gewissens anschließen kann.
„Easter Parade“ gehört ohne Frage zu den echten Highlights des Buchjahres 2007. Sehr lesenswert.
Voltaire
 



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