Deutung zu Martin Suter „Die dunkle Seite des Mondes“ von Henry Lassalle
lassallehenry@freenet.deIm Roman von Martin Suter geht es um den erfolgreichen Wirtschaftsanwalt Urs Blank, der als Spezialist für Fusionen viel arbeitet und ein scheinbar sorgenfreies Leben führt. Seine Londoner Maßanzüge und Schuhe, sein Jaguar, seine Wohnung beschreiben sein Luxusleben. Dennoch stimmt etwas nicht in seinem Leben, denn plötzlich verhält er sich menschenverachtend, er bezeichnet Dr. Fluri wiederholt als „Arschloch“ und Christoph Gerber als „Arschkriecher“. Er beleidigt Evelyns Mäzene und Gäste in ähnlicher Weise und betäubt sich mit Alkohol. - Obwohl Huwyler ihn fördert, ihm einen Riesenauftrag für eine Versicherungsfusion überträgt (28), „hasst er sich dafür, dass er nicht nein sagt“, denn das bedeutet weitere nächtelange Arbeit für ihn. (Huwyler = Förderer/Mäzen von Urs)
Bei Urs Blank zeigen sich bei zunehmender Aggressivität deutliche Anzeichen eines Burnout-Syndroms, bei dem Lustlosigkeit, Gereiztheit, Konzentrationsstörungen auftreten. Es könnte sich ebenso um eine Midlifecrisis (27), Psychovegetative Erschöpfung oder Depressionen handeln. Urs ist ein Workaholic, denn auch für den Arbeitssüchtigen haben Familie und soziale Kontakte kaum mehr Bedeutung, er lebt für seine Arbeit, er verdient viel Geld und hat kaum Zeit sein Geld auszugeben (7). In dieser Hinsicht ist der Roman auch ein psychologischer Roman, Urs Probleme gehen aber weniger als viele Interpreten denken vom Drogenkonsum als von seiner beruflichen Überlastung aus. Auch wenn er seinen Beruf als Berufung sieht, hat er sich den Spaß daran verdorben und die Work-Life-Balance nicht hergestellt, deshalb heißt es „Aber etwas stimmte nicht in seinem Leben … (7)
Das Komplott: Die Haftungsklausel – Die Fusionsverhandlungen –Blanks Skrupellosigkeit
Geradezu kriminell verwendet Urs sein Insiderwissen, denn er erfährt auf Seite 29 von Dr. Geiger, dass Dr. Fluri sich bei seinem „Russlandfeldzug“ übernommen hat und das nächste Jahr nicht durchsteht. Daraufhin entwickelt er mit Pius Ott die Idee einer „nicht unüblichen“ Haftungsklausel, die Dr. Fluri das Genick brechen wird. Der Haupttäter ist Urs, denn er widerspricht Ott und legt fest: „Ab zwanzig Millionen haftet er für die ganze Summe.“(36) Auf Seite 40 lügt Blank Fluri sogar an, er behauptet von der Haftungsklausel, sie gehöre zum Standard amerikanischer Fusionsverträge, dadurch zwingt er Dr. Fluri jene Killerklausel zu akzeptieren. Weil dieser sein Gesicht vor den Verhandlungspartnern wahren möchte, unterzeichnet er, auch wenn er dies nur widerwillig tut (41).
Blank vernichtet Dr. Fluri durch seine Gewissenlosigkeit, er hat auch kein Mitleid mit ihm. Dies wird im Text deutlich, wenn es heißt: „Als er, ohne sich noch einmal umzudrehen, umständlich in den Fond des Taxis kletterte, tat er Blank fast ein wenig leid“ (41/42) – Später fragt Lucille, was er heute getan habe und er gesteht: „Einen alten Mann ruiniert“(45) – Ours blanc heißt französisch „Eisbär“ (=Gefühllosigkeit/Kälte)
Pius Ott glaubt in Blank sein alter ego zu finden, er überlässt Urs sein Jagdmesser mit der Gravur „never hesitate“ mit der Bemerkung: „Wir haben andere Gemeinsamkeiten“. Auf Seite 43 wird davon berichtet, dass Ott noch „bei keinem Anwalt diesen „Killerinstinkt“ entdeckt hatte, den er bei Blank vermutete.“
Wichtig: Urs Blank verwandelt sich nicht erst durch den Drogenkonsum zu einem Killer, auch wenn er vorher nicht ganz so brutal und gewissenlos handelt, verhält er sich menschenverachtend.
„Die dunkle Seite des Mondes“ meint die dunkle Seite unserer Persönlichkeit, die Geltungssucht, und die 7 Todsünden: Habsucht, Hochmut, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit des Herzens.
Wenn wir das wilde Tier in uns nicht beherrschen, werden wir zu Tätern und zu Schuldigen!
Autobiografische Bezüge? So vorsichtig und fast schüchtern wie Martin Suter in Interviews und Lesungen erscheint, ergibt sich die Frage, ob er nicht selbst schon aus dem Kelch der psychischen Krisen getrunken hat? Zumindest hat er in seinem Werk mehrfach in diese Abgründe geschaut, und dazu kann man einige seiner Romane nennen. So finden sich auch in Lila Lila viele Bezüge zum Literaturbetrieb und zur Hilflosigkeit des Autors, hier „David Kern“.
- Henry Lassalle - „Die dunkle Seite des Mondes“ von Martin Suter