Ein Anwalt mit Sitz in der Wall Street erzählt uns die Geschichte eines seiner Angestellten, den er als Kopist beschäftigt hat. Bartleby, so sein Name, zurückhaltend und schweigsam, gilt lange Zeit als sein bester Mitarbeiter. Seine Schreibarbeiten sind vorbildlich, wenn da nicht Bartlebys ablehnende Haltung gegen die nachträgliche Korrektur wäre. In sanftem, beinah schon teilnahmslosem Ton verkündet er „ich würde vorziehen, es nicht zu tun“. Diese Aussage ist die einzige Reaktion auf des Anwalts Anfragen. Der Anwalt aber ist eben wegen der ruhigen Art des Schreibers unfähig, seine Wut auszudrücken und ignoriert vorerst die Einstellung Barlebys.
„Bei jedem anderen wäre ich sofort in eine fürchterliche Erregung geraten, hätte auf jedes weitere Wort verzichtet und ihn mit Schimpf und Schande weggejagt. Aber an Barleby war etwas, was mich nicht nur auf seltsame Weise entwaffnete, sondern mich auch wunderlich berührte und verwirrte.“
Seltsam ist die Figur des Kopisten, der das Büro nicht mehr verlässt, sich dort einnistet, sogar die Nächte dort verbringt, der kaum isst, wenig schläft, dafür träumend aus dem Fenster blickt, das ihm nur als Ausblick die trostlose Mauer des Nachbarhauses bieten kann. Je weiter die Zeit fortschreitet, desto mehr Aufträge verweigert er, bis er am Ende sogar das Schreiben einstellt. Das Mitleid des Anwalts stößt an seine Grenzen, fordert ihn auf, sein Büro zu verlassen. Er aber „zieht es vor, es nicht zu tun.“ Wie festgenagelt bleibt er dort sitzen, selbst nach mehreren Aufforderungen des Anwalts.
„Was soll ich tun? Was müsste ich tun? Was, sagt mein Gewissen, müsste ich mit diesem Menschen oder vielmehr mit diesem Gespenst tun? Ihn loswerden muss ich. Gehen soll er. Aber wie? Du wirst ihn doch nicht hinauswerfen, den armen, bleichen untätigen Menschen – du wirst doch eine solche hilflose Kreatur nicht vor die Tür setzen. Du wirst dich doch nicht durch solch eine Grausamkeit entehren. Nein, das will ich nicht. So etwas kann ich nicht tun. Lieber möchte ich ihn hier leben und sterben lassen und seine sterblichen Reste in die Wand einmauern.“
Der Anwalt zieht es vor, selbst auszuziehen, sich eine andere Arbeitsstätte zu suchen. Eine Entscheidung mit schicksalhaften Konsequenzen, denn die Nachmieter sind nicht so nachsichtig mit Bartleby und lassen ihn von der Polizei abführen. In der Gefängniszelle verweigert er konsequent die Nahrung und stirbt.
Anfangs war ich verwirrt über diese Figur, da mir seine Handlung oder vielmehr Untätigkeit nicht nachvollziehbar schien. Mit jeder weiteren Seite zeichnet sich dann doch ein kraftvolles, metaphernreiches und überaus eindringliches Bild ab. Bartleby als Verweigerer, entsagt der Gesellschaft, der Realität, seinem Leben. Er hat die freie Entscheidung in einer geregelten Gesellschaft gefordert und ist letzten Endes daran gescheitert. Erinnert das nicht an Kafka?
Seine Freiheit endet in eine Sackgasse, das Gefängnis ist allgegenwärtig. Die Mauer vor dem Fenster, die Trennwand zwischen ihm und seinen Kollegen – die Mauer wird sogar vom Namen des Stadtteils getragen: „Wall“ Street.
"Ach, das Glück umwirbt das Licht, und so glauben wir, die Welt sei heiter, aber das Elend hält sich verborgen, und so meinen wir, es gebe keins."
Gruß,
chip