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Daudet, Alphonse - Briefe aus meiner Mühle




Daudet, Alphonse - Briefe aus meiner Mühle

Beitragvon chip » 03.06.2009, 07:23

Der Dichter Daudet kauft die seit 20 Jahren leer stehende Mühle im Herzen der Provence, um sich seinen dichterischen Arbeiten hingeben zu können. Der Kauf gleicht einer Flucht aus der hektischen und schmutzigen Hauptstadt, wo man nicht zur Ruhe kommt. Im Mittelpunkt stehen daher die bukolische Idylle der Provinz und der Charakter seiner Bewohner, poetische Beschreibungen eines naturverliebten Dichters.

„Wie sollte es mir also leid sein um Ihr lärmendes, schwarzes Paris? Mir ist so wohl in meiner Mühle. Es ist genau das Fleckchen Erde, das ich suchte, ein kleiner, warmer, duftender Winkel, hundert Meilen weit von den Zeitungen, den Droschken, dem Nebel! … Und was gibt es nicht für Dinge rings um mich her! Noch bin ich kaum acht Tage hier, schon habe ich den Kopf voller Eindrücke und Erinnerungen …“

Er macht Bekanntschaft mit seinen Nachbarn, die wiederum tragische, fromme, heitere Geschichten aus einer vergangenen Zeit berichten: vom Vorbesitzer dieser Mühle, der einen mutigen Kampf gegen die Industrialisierung führt, von einem unglücklich Verliebten, der in den Tod springt oder von zwei konkurrierenden Wirtshäusern. In einer Geschichte forscht er nach der Bedeutung eines provinzialischen Sprichworts, das bei rachsüchtigen Menschen Verwendung findet - vom Esel des Papstes, der seinen Fußtritt sieben Jahre lang aufspart - Und reist dazu in die Zeit der französischen Päpste zurück, als noch, angelehnt an das Kinderlied, auf der Avignoner Brücke getanzt wurde und wo der Siegeszug des „Château-Neuf des Papes“ seinen Anfang nahm.

Doch meist sind es Märchen und Fabeln, moralgeschwängerte Geschichten à la Fontaine, in denen Tiere reden und durch ihre Aussagen wie Menschen betrachtet werden. Daneben immer wieder heitere Geschichten über sündige Pfaffen, die beispielsweise ihre Messe schnellstmöglich hinter sich bringen wollen, um endlich am reich gedeckten Tisch Platz nehmen zu dürfen. Wo der gerissene Pfarrer einer schwach besuchten Kirche in seiner Predigt von einem Traum berichtet, in dem er im Paradies vergebens nach Gemeindemitglieder Ausschau hält. Von einer angeketteten Ziege, die nach Freiheit lechzt oder eines jungen Mannes mit dem Hirn aus Gold.

„In frenetischer Hast verbeugt er sich, erhebt sich wieder, macht das Kreuzzeichen, die Kniebeugen, kürzt all diese Gesten ab, um schneller fertig zu sein. Kaum dass er beim Evangelium die Arme ausbreitet, sich beim Confiteor an die Brust schlägt. Zwischen ihm und dem Ministranten geht es um die Wette, wer am schnellsten die Silben verschluckt. Bibelverse und Responsorien übereilen, überstürzen sich. Ohne den Mund aufzumachen, was zuviel Zeit gekostet hätte, halb ausgesprochen enden sie die Wörter mit unverständlichem Gemurmel.“

Auch wenn mittlerweile gelüftet wurde, dass viele dieser Geschichten gar nicht aus der Feder Daudets stammen und diese im verschmutzten Paris geschrieben wurden, kommt man nicht umhin, sich nach der provinzialischen Idylle zu sehnen. Im Buch ist die Wehmut eines Autors spürbar, der wohl ein Aussterben der Provinz befürchtete… und deswegen ein Loblied an derselben anstimmte? Neben den wirklich gelungenen Texten mischen sich, wie wohl in jeder Sammlung, unbedeutende, belanglose Erzählungen unter, die man aber willig in Kauf nimmt.
Meiner Euphorie der Erstlektüre kann ich dennoch nicht mehr uneingeschränkt anschließen.
:stern: :stern: :stern:

Gruß,
chip

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chip
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von Anzeige » 03.06.2009, 07:23

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