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Goethe, J.W. von - Die Leiden des jungen Werther




Goethe, J.W. von - Die Leiden des jungen Werther

Beitragvon chip » 28.01.2009, 09:18

Nach dem Studium reist der junge Werther in die Provinz um sich an der Natur zu erfreuen. Täglich sitzt er ohne Verpflichtungen, vogelfrei draußen am Brunnen, beobachtet die Menschen und bemitleidet sie, die doch umher getrieben werden durch die Arbeit. Er selbst bummelt verträumt vor sich hin, zeichnet ein wenig und langweilt sich

"Wenn du fragst, wie die Leute hier sind, muss ich dir sagen: wie überall! Es ist ein einförmig Ding ums Menschengeschlecht. Die meisten verarbeiten den Größten Teil der Zeit, um zu leben, und das bisschen, dass ihnen von der Freiheit übrigbleibt, ängstigt sie so, dass sie alle Mittel aufsuchen, um's loszuwerden. O Bestimmung des Menschen!“

Auf einem Fest trifft er Lotte, und obwohl man ihn warnt, sie sei bereits verlobt, verliebt er sich in sie. Auch sie scheint nicht verlegen, dass in der Abwesenheit Alberts um sie geworben wird. Nachdem andere Gäste ihre Rolle als Verlobte in Erinnerung rufen, findet sie zur Besinnung zurück. Werther verschreibt sich indessen der Leidenschaft zu, kann seine Liebe zu ihr nicht verdrängen. Erst die Rückkehr ihres Verlobten bewegt ihn dazu, kampflos und ohne Hoffnung das Feld zu räumen.

Er kehrt zurück in die Stadt, nimmt die angebotene Stelle eines Abgesandten an, doch die Normen der Gesellschaft missfallen ihm. Er wird aus einer Gruppe ausgewiesen, weil er nicht dem Gesellschaftskreis angehört. Indem er die Regeln missachtet, wird er zum Gespött der Leute. Er kündigt, besucht die mittlerweile verheiratete Lotte. Die Besuche mehren sich und erst als Albert seinem Unmut Luft macht, kann Lotte sich überwinden, ihm den Zutritt zur Wohnung zu verweigern. Diese Szene bestärkt ihn in seinem Vorhaben, sich umzubringen.

Dieser Briefroman wurde in poetischer, leidenschaftlicher, auf dem schmalen Grat zur Schwülstigkeit verfasst. Das Ende, der Abschiedsbrief klebt förmlich an den Fingern. Im zweiten Teil mischt sich der Herausgeber der Briefe ein, um die Authentizität zu erhöhen und natürlich um den Tragikeffekt zu vergrößern. Ein bemerkenswerter Kniff, der vorher schon Rousseau erfolgreich genutzt wurde.

Werther lebte ohne Perspektive, ohne Ziel im Leben – er lebte in den Tag hinein, fand somit genügend Zeit zum Nachdenken. Er wäre gar nicht in diese Situation geraten, wenn er sich wie die arbeitende Mehrheit, die, die er anfangs bedauerte, angeschlossen hätte. Er hat sich so in einer zufälligen Gunst zu Lotte hineingesteigert, bis es unmöglich wurde, wieder herauszufinden. Es war klar, dass Werther depressiv war, fand er doch keinen geeigneten Platz im Leben. Der einzige Halt schien diese Frau, die sich zum Schluss von ihm abwendet - Abwenden musste, weil sie sich im Gegensatz zu ihm den Normen der Gesellschaft unterwarf – also aus Vernunftgründen. Und weil diese Frau den Mittelpunkt seines Daseins darstellte, konzentrierten sich alle Gedanken auf sie. Die Folge war, dass er darin mehr wahrnahm, als tatsächlich vorhanden war. Selbst die Liebe zu ihr ist meines Erachtens reine Einbildung. Durch die Verdichtung seiner Gedanken wird die Sympathie zu einer Liebe hochstilisiert. (oder wie man aus einer Mücke einen Elefanten macht.) Er war viel zu egoistisch und überheblich veranlagt, um besagte Beziehung zu führen. Alleine dieser Abschiedsbrief an sie ist derart brutal ihr gegenüber, dass Rücksichtsnahme für ihn keine Rolle gespielt hatte. Mit großer Geste vollzieht er seinen Abgang. 'Nach mir die Sintflut!' zu sehr ich-bezogen, ging es ihm nie um Lotte, sondern immer nur um sein kleines unbedeutendes Selbst.

Trotz allem fand ich den Roman herrlich angenehm, denn man braucht dazu ja den Helden nicht sympathisch zu finden. In der Mitte des Buches taucht ein Gespräch zwischen Albert und Werther auf, zwischen der Vernunft und der Leidenschaft und um die Rechtfertigung der Selbsttötung. Mein persönlicher Höhepunkt dieses Büchleins.
:stern: :stern: :stern: :stern:

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chip
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von Anzeige » 28.01.2009, 09:18

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Die Leiden des jungen Werthers

Beitragvon Krümel » 04.02.2009, 12:40

Pflichtlektüre oder doch verzichtbar?

Diesen Briefroman schrieb Goethe innerhalb weniger Tage, da er sein autobiographisches Dilemma verarbeiten wollte.
Auf der einen Seite stand da seine unglückliche Liebe zu der bereits verlobten Charlotte Buff. Diese hatte Goethe in Wetzlar kennen gelernt, sich unsterblich verliebt, doch diese Liebe war völlig aussichtslos. In seinem Bekanntenkreis befand sich auf der anderen Seite ein Karl Wilhelm Jerusalem, der sich unsterblich in eine verheiratete Frau verliebte, und sich wegen der Trostlosigkeit dieser Liebe umbrachte. Im „Werther“ verarbeitet Goethe nun sein Empfinden gekoppelt mit diesem tragischen Ausgang. Für die damalige Zeit war Selbstmord in den Augen der Kirche noch Hochverrat, und allgemein nicht gesellschaftsfähig. Der Roman „Werther“ führte zu einem Werther-Fieber, in dem liebende Menschen nun überschwellende Liebesbriefe schrieben, und Suizid zum „Kult“ wurde. Hat Goethe in diesem Werk die Gefühlswelt über die Vernunft gestellt?

„Der junge Werther“ zieht sich nach dem Studium aufs Land zurück. Seine Briefe richten sich an einem Wilhelm, der nicht weiter beschrieben wird. Werther schreibt über die Landschaft und die Menschen, die er genau beobachtet. Er lässt sich mit der Landbevölkerung ein, hört sich deren Geschichten an und urteilt streng über deren Leben, und wie sie beispielsweise mit ihrer Zeit umgehen. Bei einem Vergleich stellt er fest, dass Müßiggang und freier Geist etwas Ergötzendes ist.
In den nächsten Briefen erwähnt Werther dann erstmals diese Lotte, wie er sie kennen gelernt hat, wie seine Gefühle übersprudelten und in welche Situation er hinein gerät. Denn Lotte ist bereits verlobt mit Albert.

Die Tragik des Werks findet seinen Lauf, und das Ende ist proportional überdramatisiert, denn der Protagonist sowie der Erzähler, der sich zum Schluss einmischt, verschieben hier die Schuldfrage. In dem sie einer Figur den Tod in den Schoss legen, die eigentlich unschuldig ist.

Der Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ richtet sich an ein Publikum, welches nicht nur eben mal einen Klassiker lesen möchte, wie man es mit zahlreichen Klassikern durchaus machen kann, lesen und verstehen sind eins, nein dieses Werk erfordert schon eine strenge Disziplin vom Leser.

Zunächst möchte ich hier die alte, und heute sehr umständlich zu lesende Sprache hervorheben, durch die man sich teilweise zwingen muss.
Die Entstehungsgeschichte sowie die zeitlichen Umstände gehören hier zum Verstehen des Werks hinzu.
Darüber hinaus ist eine gewisse Kenntnis über damaligen Epochen fast unverzichtbar, denn Goethe ist kein Stürmer und Dränger, er zählt zu den „Weimarer Klassikern“. Goethe gebraucht aber hier eine Epoche, in der der Mensch als Genie eine Erhabene Stellung einnimmt, und diese Überheblichkeit findet im Werk ihre Übertreibung, es trägt ganz eindeutig auch ironische Züge. Man könnte fast schon denken, er mache sich über die Stürmer und Dränger lustig. Denn er durchleuchtet rational ein menschliches Desaster: die aussichtslose Liebe und die Suizid. Der Selbstmord aber ist für ihn persönlich ganz klar eine Übertreibung aus dieser Situation heraus, und wird auch nicht von Goethe eingelöst. Genauso wie er den „Suizid-Kult“ ablehnte. Der Ausgang in der Überspitzung am Ende des Werkes spiegelt für mich die persönliche Haltung Goethes wieder. Der erste Schritt in die „Weimarer Klassik“ ist getan, in der der Mensch eigenverantwortlich handelt, und Selbstverantwortung groß geschrieben wird.

Nun zur Frage: Sollte man den „Werther“ gelesen haben? Nach dieser Prozedur kann ich das mit JA! beantworten, aber nur wenn man diese Muße mitbringen kann. Denn es erfordert doch schon einiges um dieses Werk für sich persönlich in allen Facetten zu durchleuchten, was dann am Ende sehr viel Freude mit sich bringt.

Bewertung: :stern: :stern: :stern: / :stern:
Schwierigkeitsgrad: mittel bis übertrieben langatmig :wink:
BildLiebe Grüße,
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Beitragvon Monika » 04.02.2009, 18:09

Ich liebe den Faust und lese ihn immer wieder, das Gleiche gilt für die wunderbaren Gedichte Goethes, aber ich muss offen gestehen, mit seinen Prosawerken habe ich meine Schwierigkeiten. Sie sind gut geschrieben, keine Frage, Goethe wusste seine Worte zu setzen, aber großen Lesegenuss haben sie mir nicht bereitet. Den "Werther" habe ich in der Schule gelesen und fand ihn insgesamt sehr langatmig, in den "Wahlverwandschaften" gingen mir alle vier Personen auf die Nerven, und die berühmte "Novelle" war mir zu idyllisch. "Wilhelm Meisters Lehrjahre" habe ich nach wenigen Kapiteln abgebrochen, weil Wilhelms Beschreibungen seines Puppentheaters mich genauso gelangweilt haben wie seine Freundin Marianne. Allerdings war das vor vielen Jahren, inzwischen bin ich als Leser "wat klüger" geworden. Der "Wilhelm Meister" gilt als einer der großen Entwicklungsromane, und ich hätte schon Lust, es nochmal mit ihm zu versuchen. Vielleicht finden sich hier ein paar Dumme für eine gemeinsame Leserunde, gelegentlich, irgendwann..
Gruß Monika


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Beitragvon Krümel » 04.02.2009, 18:31

Monika hat geschrieben: Der "Wilhelm Meister" gilt als einer der großen Entwicklungsromane, und ich hätte schon Lust, es nochmal mit ihm zu versuchen. Vielleicht finden sich hier ein paar Dumme für eine gemeinsame Leserunde, gelegentlich, irgendwann..


Melde mich zur Stelle :lol: Nur nicht direkt und sofort, vielleicht so im Herbst :idea:
BildLiebe Grüße,
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Beitragvon chip » 05.02.2009, 05:47

Krümel hat geschrieben:
Monika hat geschrieben: Der "Wilhelm Meister" gilt als einer der großen Entwicklungsromane, und ich hätte schon Lust, es nochmal mit ihm zu versuchen. Vielleicht finden sich hier ein paar Dumme für eine gemeinsame Leserunde, gelegentlich, irgendwann..


Melde mich zur Stelle :lol: Nur nicht direkt und sofort, vielleicht so im Herbst :idea:

Dem schließe ich mich an. Muss auch nicht der Herbst dieses Jahres sein. :wink:
chip
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Beitragvon wolves » 05.02.2009, 08:23

Bei "Wilhelm Meister" würde ich wahrscheinlich passen, aber ich hätte hier noch den Faust liegen. Den könnte man ja mal in weiterer Zukunft ins Auge fassen.
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon Krümel » 05.02.2009, 11:16

wolves hat geschrieben:Bei "Wilhelm Meister" würde ich wahrscheinlich passen, aber ich hätte hier noch den Faust liegen. Den könnte man ja mal in weiterer Zukunft ins Auge fassen.


Soll ich dir nicht lieber meine DVD zusenden, dann kannst du den Faust ganz gemütlich schauen :wink:
BildLiebe Grüße,
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Beitragvon wolves » 05.02.2009, 11:43

Wenn ich mir an den besten Stellen eine Notiz bzw. Randbemerkung machen darf? 8)
Nein, das Angebot ist sehr lieb ( :bussi: ), aber in dem Fall möchte ich doch lieber erst mal lesen (und hemmungslos mit meinem Stift ins Buch reinschreiben) bevor ich mir das Stück anschaue. Aber dann würde ich tatsächlich auf dein Angebot zurückkommen! :D
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon tom » 05.02.2009, 17:45

Krümel hat geschrieben:Soll ich dir nicht lieber meine DVD zusenden, dann kannst du den Faust ganz gemütlich schauen :wink:


:lach:
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