Chicago, 1942. Es ist die Zeit der Helden und Hartgesottenen. Die propagandistische Bewerbung nach neuen Kriegern ist in den USA angelaufen und kühner Patriotismus wird in jenen Tagen groß geschrieben. Joseph gehört nicht zu den Kriegshelden, die eine ganze Epoche prägen werden.
"Sie sind in der inneren Einsicht nicht geübt und daher schlecht gerüstet, mit Gegnern fertig zu werden, die sie nicht wie Großwild niederschießen oder im Wagemut übertreffen können."
Seit sieben Monaten wartet Joseph nun schon auf seine Einberufung zum Militärdienst, doch die Steine der Bürokratie mahlen langsam. Seitdem baumelt er, ohne Arbeit, ohne Ziel, ohne Motivation, in einer kleinen Pension, zusammen mit seiner Frau Iva. Um die Zeit des Wartens auszufüllen führt er Tagebuch, notiert Gedanken und Eindrücke, beobachtet sich und seine Umgebung während dieser unsicheren Zeit.
“In einer Stadt, wo man fast sein ganzes Leben verbracht hat, wird man sich kaum jemals einsam fühlen, und doch bin ich in einem sehr realen Sinne genau das. Ich bin zehn Stunden täglich allein in einem einzigen Zimmer.“
Diese Aussage auf den ersten Seiten veranlasst mich dazu, in Joseph einen isolierten jungen Mann zu sehen und bin ein wenig enttäuscht, als diese Erwartungshaltung auf hinkendem Fuß steht, denn er ist in den kommenden Tagen und Wochen eigentlich nie zuhause. Lustlose Besuche bei Freunden, belanglose Gespräche in sehr einfach gestrickter Sprache werden in sein Tagebuch eingetragen. Und doch, beim Weiterlesen erkennt man sie, die Kritik, die verborgene Botschaft hinter der scheinbaren Bedeutungslosigkeit seiner Wortwahl. Die Isolation wird spürbar, und das in einem Umfang, der meine Erwartung in den Schatten stellt.
Es ist der Verhaltenskodex der Gesellschaft, der kritisiert wird. Immer dazu verleitet, die gleichen Pfade entlang zu laufen, auf ihre unreflektierte und ignorante Weise. Bohrenden Fragen auszuweichen und Dinge als gegeben hinzunehmen, statt sie zu prüfen. Es sind die Denkmuster des modernen Menschen, die Joseph anprangert, wenn sich gar 10jährige Kinder abfällig über seine Arbeitslosigkeit äußern. Er sucht nach dem Zweck ihres Daseins, versucht dem Menschen einen Sinn einzuverleiben. Einst in der Überzeugung, die Freiheit als höchstes Gut zu betrachten, wird sie nach seinen Überlegungen zum eigentlichen Fluch. Die Umwelt hat sich in Vorgänge und Routinen verhakt, wo Freiheit ihren Wert verliert. Der moderne Mensch muss sich den ungeschriebenen Gesetzen anpassen, sich ihnen unterwerfen, sonst scheitert er.
Joseph bittet um Beschleunigung seiner Einberufung, weil er sich einsam und ausgeschlossen fühlt. Er ist seiner Freiheit überdrüssig geworden, die doch nur Verwahrlosung zur Folge hat. Um Akzeptanz zu erlangen, nimmt er gar die Unterwerfung seines Geistes in Kauf.
“Das ist mein letzter Tag als Zivilist … Man kann mich nicht mehr für mich verantwortlich machen, dafür bin ich dankbar. Ich bin in anderen Händen, von der Selbstbestimmung erlöst, der Freiheit enthoben.
Ein Hoch dem geregelten Leben!
Und der Bevormundung des Geistes!
Lang lebe die straffe Ordnung!“
(:stern:)
Gruß,
chip