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Pehnt, Annette - Haus der Schildkröten




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Pehnt, Annette - Haus der Schildkröten

Beitragvon Pippilotta » 25.07.2007, 07:08

Jeden Dienstag betreten Regina und Ernst unabhängig voneinander das „Haus Ulmen“, das Altersheim, in dem ihre Elternteile den Lebensabend verbringen.

Reginas Mutter, Frau von Kanter, ist gelähmt, kann sich nur durch Mimiken und Gesten mitteilen, doch ihr Geist ist hellwach. Aus den inneren Monologen dieser alten Frau erfahren wir, dass sie nach wie vor das Leben ihrer alleinstehenden Tochter bestimmen und dominieren möchte.

Ernst besucht seinen Vater, einen einst angesehenen Professor, der an Altersdemenz bzw. Alzheimer leidet. Er kann und will den altersbedingten geistigen und körperlichen Verfall nicht wahrhaben, er verbringt seine Zeit vor dem Schreibtisch, um seine Projekte und Vorträge vorzubereiten. Die Besuche seines Sohnes, den er oft nicht erkennt, sieht er als Störung seines Tagesablaufes. Dennoch, oder gerade deshalb, erscheint mir der Professor als eine der glücklicheren und zufriedeneren Personen im Haus Ulmen.

Die Besuche der beiden Kinder entstehen aus einem Gefühl aus Pflicht, Hilflosigkeit und Scham. Regina wahrt den Schein, mit oberflächlichem Geplänkel und übertriebener Fürsorge versucht sie, ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Insgeheim wünscht sie den Tod der Mutter, betet sogar dafür.

Aufgrund des regelmäßigen Zusammentreffens am Parkplatz entwickelt sich eine Beziehung zwischen Regina und Ernst, die aber eher auf einer „Zweckgemeinschaft“ begründet ist. Das menschliche Unvermögen, Gefühle und Ängste zu- und einzugestehen, offen und ehrlich miteinander zu reden, geben aber auch diesem Verhältnis kaum eine Chance.

Sehr treffend schildert Annette Pehnt in ihrer unvergleichlichen Erzählweise die Lebensumstände im „Haus Ulmen“, die Lethargie der „Immergleichen“, die von einem Besuchstag auf den nächsten leben, die Überforderung des Personals und die Gratwanderung, der die Angehörigen ausgesetzt sind, und hinterlässt dabei einen dicken Kloß im Hals. Der Stil ist wortkarg, nüchtern, unspektakulär und schnörkellos, auf Satzzeichen wird verzichtet. Das Wesentliche, das Ungesagt liest man zwischen den Zeilen des rund 150 Seiten umfassenden Buches.

Absolut empfehlenswert für jedermann, denn dieses Thema wird uns alle früher oder später in direkter oder indirekter Form beschäftigen!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Bild
Zuletzt geändert von Pippilotta am 25.07.2007, 10:50, insgesamt 1-mal geändert.
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon Krümel » 25.07.2007, 09:40

Das kommt morgen in den Blog :D
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon Coco » 25.07.2007, 10:21

Danke Pippi für diese Rezi !

Dieses Buch werde ich mir bestimmt besorgen.
Liebe Grüsse
Coco

-----------

:studie:

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Beitragvon wolves » 25.07.2007, 14:31

Danke Pippi für die Rezi, bei mir ist das Buch im Hinterkopf abgespeichert. Ein Thema das wirklich früher oder später auf uns zukommen wird. Mir graut es schon jetzt davor. :-(
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon Salome » 25.07.2007, 19:18

Dieses Buch möchte ich auch unbedingt lesen! Ich habe schon lange eine Auge darauf gehabt, nun bin ich vollends sicher! Danke, Pippi! :D
Hat jemand eine Ahnung, ob und wann eine Taschenbuchausgabe herauskommt?
Salome
 

Beitragvon Krümel » 26.07.2007, 10:42

Pippi du stehst drin, dankeschön :D
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon Karthause » 26.07.2007, 11:12

Dieses Buch möchte ich auch lesen. Ich muss mir dafür nur den passenden Zeitpunkt aussuchen. Aber ich bin schon sehr gespannt, auch wenn das Thema sehr ernst ist. Vielen Dank für deine schöne Rezi, Pippi.
Viele Grüße
Karthause

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Beitragvon wolves » 26.07.2007, 11:51

Salome hat geschrieben:Hat jemand eine Ahnung, ob und wann eine Taschenbuchausgabe herauskommt?


Laut Amazon käme die Taschenbuchausgabe Februar 2008 auf dem Markt.
Liebe Grüße
wolves


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