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Ditfurth, Jutta - Ulrike Meinhof. Die Biographie




Ditfurth, Jutta - Ulrike Meinhof. Die Biographie

Beitragvon Voltaire » 21.05.2008, 20:32

Titel: Ulrike Meinhof. Die Biographie
Autorin: Jutta Difurth
Verlag: Ullstein
Erschienen: November 2007
Seitenzahl: 478
ISBN-10: 3550087284
ISBN-13: 978-3550087288
Preis: 22.90 EUR


Allein schon der Name der Autorin machte neugierig auf diese Biographie; einer Biographie über eine Frau, die in diesem Land unauslöschliche Spuren hinterlassen hat. Ihr Name – Ulrike Meinhof – war in aller Munde, aber gekannt haben sie wohl nur sehr wenige Menschen.

Und dieses Leben der Ulrike Meinhof wurde aufgeschrieben von Jutta Ditfurth, der ehemaligen Vorsitzenden der Grünen (1984 bis 1988), die diese Partei dann im Jahre 1991 verließ weil dort der von ihr repräsentierte fundamentalistische Flügel mehr und mehr an Einfluss verlor. Jutta Ditfurth ist auch die Tochter des mittlerweile verstorbenen Naturwissenschaftlers Hoimar von Ditfurth.
Man kann dieser Jutta Ditfurth sicher viele Dinge vorwerfen, man kann ihren politischen Überzeugungen vehement widersprechen, aber man kann ihr keine Unehrlichkeit und keine Unaufrichtigkeit vorwerfen. Jutta Ditfurth hat immer zu ihren Ansichten gestanden, hat sich nicht verbiegen lassen und ist in ihrem Auftreten immer gradlinig gewesen. Sie ist streitbar, sie polarisiert aber niemand wird ihr ernsthaft Populismus vorwerfen wollen. Und diese Soziologin hat nun diese Biographie über die Journalistin Ulrike Meinhof vorgelegt.

Wenn man diese Biographie aufschlägt, dann muss man wissen, dass man bei Jutta Ditfurth „Political Correctness“ vergeblich sucht. Sie bezieht Stellung und als Leser erkennt man sehr schnell, für wen und was diese Autorin steht. Sie will nicht aus der Distanz schreiben, sie will vielmehr mitten in das Leben von Ulrike Meinhof eindringen, will deren Antriebe und Motivationen kennen lernen, sie will bei diesem Leben quasi dabei sein, es „nachleben“. Sie will sich und uns den Lesern das Leben dieser Frau, die für die meisten Menschen nur „die Terroristin“ war, nahe bringen. Jutta Ditfurth ist nicht fair, sie will auch nicht fair sein; aber sie will eine akribisch recherchierte Biographie vorlegen. Man kann davon ausgehen, dass sie alles das was sie aufgeschrieben auch belegen kann. In ihrer Wertung aber ist sie nicht fair und da muss sie auch nicht fair sein; da ist sie einfach die „politische“ Jutta Ditfurth. Ich gehe davon aus, dass sie gerade auch diese Biographie als eine politische Biographie geschrieben hat. Denn Ulrike Meinhof bzw. das Leben dieser Frau ist ein öffentliches und ein politisches Leben gewesen. Gerade diesem Umstand trägt Jutta Ditfurth mit dieser Biographie ausgezeichnet Rechnung.

Sie schildert Kindheit, Schulzeit, Studium und die journalistische Tätigkeit von Ulrike Meinhof. Dabei geht der Blick der Autorin auch immer wieder über den politischen Tellerrand hinaus. Die Ereignisse der Zeit setzt sie in Bezug zum Leben der Portraitierten. Viele Handlungen erklären sich so eben auch aus den damaligen politischen Umständen. Die Meinhof-Kolumnen in der linksgerichteten Zeitschrift KONKRET waren ein echtes Highlight des linken, kommentierenden Journalismus und hatten in der damaligen linken Szene ihren festen Platz.

Und irgendwann gab es dann für Ulrike Meinhof keinen Weg mehr zurück. Sie bog falsch ab und fand dann keinen Ausweg mehr aus ihrem Irrweg. Gerade diese Phase ihres Lebens wird von Jutta Ditfurth einfühlsam und sehr sachlich geschildert. Die Autorin verteidigt nicht diesen politischen Irrweg. Sie rechtfertigt auch nicht deren Straftaten. Aber dem Leser wird klar, dass hier eine hochintelligente Frau an den Verhältnissen in diesem Land verzweifelt ist. Ihre Features in Funk und Fernsehen erfreuten sich größter Hochachtung. Ulrike Meinhof nannte Missstände kompromisslos bei ihrem Namen und musste aber das eine ums andere Mal erkennen, dass Betroffenheit keine Abhilfe schafft und das nur durch Schulterklopfen keine Missstände behoben werden.

Es mag sein, dass Jutta Ditfurth in Bezug auf den Tod von Ulrike Meinhof im Mai 1976 zu falschen Schlüssen kommt – die näheren Umstände sind bis heute nicht eindeutig geklärt – aber auch hier bemüht sich die Autorin um eine sachliche auf Fakten gestützte Schilderung der Ereignisse. Und wenn der Prozessverlauf gegen die „Bader-Meinhof-Bande“ geschildert wird, dann sucht man schon nach Rechtfertigungen des Rechtsstaates, die dieser offensichtlich nicht zu liefern bereit ist. Denn eines macht Jutta Ditfurth sehr deutlich; der Rechtsstaat ist damals durch die Terroristenhysterie schwer beschädigt worden. Da wurde ein ganzes Land mehr oder weniger unter Terrorismusverdacht gestellt.
Es waren in der Hauptsache Sozialdemokraten, die hier an den Grundrechten der Menschen Beschädigungen vornahmen. Das sollte auf gar keinen Fall vergessen werden! Und es sollte auch nicht vergessen werden, dass man aus dem Ausland sehr kritisch auf diesen deutschen Rechtsstaat schaute. Und wenn nur ein Viertel davon stimmt, was die Autorin der deutschen Justiz in Bezug auf die Verfahren gegen die Bader-Meinhof-Gruppe vorwirft, dann ist das wirklich harter Tobak und räumt mit so mancher Illusion über dieses Land auf.

Ein streitbares Buch, ein diskussionswürdiges Buch, ein Buch das man sicher nicht unberührt aus der Hand legt, ein Buch in dem Straftaten als das geschildert werden was sie sind, nämlich Verbrechen, aber auch ein Buch, das auch bei der Strafverfolgung rechtsstaatliche Grundsätze einfordert. Ein hochpolitisches, ein sehr brisantes Buch.

Und eines macht dieses Buch ganz deutlich. Artikel 1 des Grundgesetzes gilt für jeden Menschen, er sollte auch für Ulrike Meinhof gelten, egal welche Schuld sie auf sich geladen hatte.

Meine Bewertung:
:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Bild
Voltaire
 

von Anzeige » 21.05.2008, 20:32

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Beitragvon Coco » 21.05.2008, 22:43

Auf jeden Fall ist das notiert!

Danke Voltaire!
Liebe Grüsse
Coco

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