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Klüger, Ruth - weiter leben




Klüger, Ruth - weiter leben

Beitragvon Katia » 20.01.2009, 22:56

[center]Ruth Klüger - weiter leben : Eine Jugend[/center]

"Und in Wirklichkeit war es Zufall, dass man am Leben geblieben ist."

Ruth Klüger ist Wienerin, geboren 1931, Jüdin. Als Germanistin, Feministin, Lyrikerin, Autorin lebt sie heute teils in Kalifornien, teils in Göttingen.
"weiter leben" ist die Autobiographie ihrer Kindheit und Jugend, behütet in Wien, ausgrenzt und verfolgt nach dem Anschluss, deportiert, überlebt und dabei immer: weiter gelebt. Was kann dem Leser so ein Buch Neues sagen über Theresienstadt, über Auschwitz? Glauben wir nicht uns eingefühlt zu haben in die Opfer, die Täter, genug Betroffenheit geäußert und gefühlt zu haben? Standen vielleicht schon selbst mit ernsten Mienen in Dachau oder Buchenwald?

Nein, betroffen machen will Klüger die Leserin (sic!) nicht, auch kein Mitleid erzeugen. Nüchtern und analysierend erzählt sie ihre Erlebnisse, die gestohlene Kindheit im KZ, den Hunger, die Leiden. Nüchtern und doch sehr persönlich, beispielsweise die lebenslang schwierige Beziehung zur Mutter, die Sprachlosigkeit zwischen Tochter und Mutter.
Besonders interessant fand ich dabei, dass Ruth Klüger nicht einfach nur ihr Leben erzählt, sondern häufig einstreut, wie sie und ihre Umgebung mit ihrer Vergangenheit umgeht.
Kann sie in gemütlicher abendlicher Runde, wenn reihum von harmlosen klaustrophobischen Erlebnissen (Aufzügen, lange Tunnel) erzählt wird, die Erfahrungen eines Transport per Güterwagon von Theresienstadt nach Auschwitz erzählen?
Wie geht man selbst mit der eintätowierten Nummer um, wie reagiert sie auf Menschen, die sagen, sie müsse dies Symbol der Erniedrigung wegmachen lassen.
Wütend ist sie oft über die Reaktionen der Menschen, wenn diese glauben, besser bescheid zu wissen als sie, die Betroffene, Traumatisierte; weil sie ihr das Erlebte absprechen ("Theresienstadt war ja nicht so schlimm" "Du warst ja noch ein Kind"), ihr vorschreiben, was sie zu fühlen hat. Gerade das macht das Buch so einzigartig und speziell, dass sie sich nicht allein auf das Erlebte und sein Grauen "beschränkt", sondern die Auswirkungen auf ein ganzes Leben reflektiert. Damit eröffnete sie mir eine neue Sicht auf ein sensibles, vielbehandeltes Thema.
Sie zeigt aber auch den Weg einer starken Frau, die versucht IHR Leben anzunehmen und zu leben.

"Aber lasst euch doch mindestens reizen, verschanzt euch nicht, sagt nicht von vornherein, das gehe euch nichts an oder es gehe euch nur innerhalb eine festgelegten mit Zirkel und Lineal säuberlich abgegrenzten Rahmens an, ihr hättet ja schon die Photographien mit den Leichenhaufen ausgestanden und euer Pensum an Mitschuld und Mitleid absolviert. Werdet streitsüchtig, sucht die Auseinandersetzung."

Unbedingte Empfehlung! :stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

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Beitragvon Karthause » 21.01.2009, 09:18

Danke, Katia, für diese schöne Rezi. Sie macht Lust, das Buch gleich zur Hand zu nehmen. Hatte ich nicht mal geschrieben, ich hätte es auch? Das war nicht, ich habe von ihr "Unterwegs verloren". Das hatte ich mir gekauft, nach dem ich den neuen Fleischhauer gelesen habe, denn in dem spielt sie auch eine Rolle.

Wenn ich mal wieder Bücher kaufe, wird es wohl dabei sein. Bis dahin ist es auf der Wunschliste.
Viele Grüße
Karthause

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Beitragvon Krümel » 21.01.2009, 11:20

Wie angedeutet wird die Rezi im Blog erscheinen :D
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Beitragvon Siebenstein » 01.06.2009, 13:13

Ich bin auf "Weiter leben" von Ruth Klüger erst aufmerksam geworden, nachdem ich die Fortsetzung ihrer Lebensgeschichte, "Unterwegs verloren", geschenkt bekommen habe. Ein unglaublich bewegendes und für mich in vielerlei Hinsicht sehr bereicherndes Buch!

An anderer Stelle wurde hier im Forum vor einiger Zeit über eine gewisse "Ermüdung" gesprochen, die beim Lesen von Büchern über die NS-Zeit aufkommt. Ich habe mich dazu damals nicht äußern wollen und möchte auch jetzt nur soviel sagen, dass ich froh und dankbar bin, dass es Menschen gibt, die die Kraft haben, Bücher wie dieses zu schreiben!

Herzliche Grüße
Siebenstein :wink:
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Beitragvon Pippilotta » 01.06.2009, 14:35

Ich sah in der Bibliothek das Buch "Unterwegs verloren" und erinnerte mich daran, dass es im Forum einen sehr schönen Thread zu Ruth Klüger gibt. Was ich nicht bedachte war, dass ich mit "Unterwegs verloren" den zweiten Teil ihrer Autobiorafie in die Tasche packte. Ich habe es trotzdem gelesen, werde aber der Vollständigkeit halber auch auf jeden Fall "Weiter leben" lesen. Mit dem zweiten Teil konnte ich nicht allzu viel anfangen, aber dazu mehr in einem eigenen Thread
Herzliche Grüße
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Beitragvon wolves » 02.06.2009, 08:25

@Siebenstein: Ich war, seit ich gesehen habe, dass du das Buch liest schon neugierig auf deine Eindrücke. In meiner Erinnerung war es ein sehr bewegendes Buch. Klüger machte mir das Lesen wahrhaftig nicht leicht. Aber wie soll ich das jetzt beschreiben; ich habe eine Menge von ihr gelernt. Katia hatte ja in ihrer Rezi die Fragen schon angedeutet. Wie geht man mit all dem Erlebten letztendlich um?
Genau so neugierig war ich auf Pippis Leseeindrücke der Fortsetzung der Autobiographie. Vielleicht magst du dazu auch noch (gerne auch sehr kurz) deinen Eindruck dort reinschreiben, Siebenstein?

@Pippi: Schwierig eine Prognose zu stellen, aber ich könnte mir vorstellen, dass dir "Weiter leben" mehr zusagen könnte.
Liebe Grüße
wolves


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