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Laborit, Emmanuelle - Der Schrei der Möwe




Laborit, Emmanuelle - Der Schrei der Möwe

Beitragvon tom » 22.04.2007, 18:36

Original: „Le cri de la mouette“ (französisch)

ISBN der/einer französischen Ausgabe: 978-2266128469

ZUR AUTORIN:
Emmanuelle Laborit (* 18. Oktober 1971 in Paris) ist eine französische Schauspielerin. Von Geburt an gehörlos, erlernte Laborit im Alter von sieben Jahren gemeinsam mit ihren Eltern die Gebärdensprache. Bereits als Kind sammelte sie erste Kamera - und Bühnenerfahrung und feierte 1992 als Theaterschauspielerin in Frankreich ihren Durchbruch mit der Darstellung der taubstummen Sarah in dem Stück "Kinder der Stille", für die sie mit dem Theaterpreis "Moliére" ausgezeichnet wurde. 1996 stand Laborit für den deutschen Kinofilm Jenseits der Stille unter der Regie von Caroline Link vor der Kamera und wurde für ihre Darstellung der gehörlosen Mutter einer werdenden jungen Musikerin für den Deutschen Filmpreis nominiert. Privat setzt sich Laborit für die Anerkennung der Gebärdensprache und eine eigene Kultur der Gehörlosen ein und hat ihren Kampfgeist in dem Erfahrungsbericht "Der Schrei der Möwe" zu Papier gebracht. (nach „Wikepedia“)

MEINE GEDANKEN:
Mitte der 90iger Jahre landete ich zufällig bei einem Abendprogramm über die Kultur der Gehörlosen und war einfach gefesselt von den aufgeworfenen Fragen: Wie denkt ein Mensch, wie kommuniziert ein Mensch, der nie „gehört“ hat? Gibt es neben dieser unserer gesprochenen Sprache ganz andere Ansätze? Und ich lernte etwas über die Gebärdensprache, die bis in die 80iger Jahre in Frankreich verboten war! Eine Person aber stach hervor: eine junge Schauspielerin, von der ich – ehrlich gesagt – nichts gehört hatte. Doch ihre entschiedenen Stellungnahmen für eine Anerkennung der Gebärdensprache als vollwertige Sprache und ihre Fähigkeit, den spezifischen Problemen der Gehörlosen einen Ausdruck zu geben, faszinierten mich und waren auch Anfrage an mich. Der Name blieb hängen: Emmanuelle Laborit. Erst viel später fand ich in einem Buchgeschäft ihren Erfahrungsbericht „Der Schrei der Möwe“, den ich dann natürlich mitnahm und sehr interessiert, betroffen (was sind da angemessene Worte?) durchlas. Wie entwickelt sich aus der „Möwe“ (la mouette) mit ihren unartikulierten Schreien als Kind ein Mädchen, das durch das späte Erlernen der Gebärdensprache aus der Stille, Ausgeschlossenheit und Stummheit (la muette) heraustauchen kann? Wie nimmt ein Gehörloser die Welt wahr? Wo liegen die spezifischen Probleme?

Jemand sagte, dass man nach dem Lesen dieses Buches besser, bewusster höre. Mag stimmen. Ich würde dem hinzufügen, dass man auch besser zu sehen, zu empfinden, zu schmecken versucht.

Eine liebenswerte, interessante Persönlichkeit, die besonders alle ansprechen mag, die Erfahrungsberichte dieser Art schätzen: Wahrnehmung der Welt von einer anderen Warte...

(Sie war übrigens in einem Telefilm in der Samstagnacht des 21.4. auf ARTE zu sehen...)

Taschenbuch: 173 Seiten
Verlag: Lübbe; Auflage: 6 (November 1995)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 340461349X
ISBN-13: 978-3404613496

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tom
 

von Anzeige » 22.04.2007, 18:36

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Re: Laborit, Emmanuelle - Der Schrei der Möwe

Beitragvon Pippilotta » 22.04.2007, 18:57

tom hat geschrieben: Und ich lernte etwas über die Gebärdensprache, die bis in die 80iger Jahre in Frankreich verboten war!


:shock: Warum war die Gebärdensprache verboten? Mit welcher Begründung?? :shock:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon Siebenstein » 22.04.2007, 19:08

Danke @Tom für den Tipp. Ich habe beruflich mit Blinden zu tun und bin immer wieder fasziniert, wie Menschen mit dieser enormen Beeinträchtigung der Wahrnehmung ihr Leben meistern. Etwas zu diesem Thema aus der Sicht einer Gehörlosen zu lesen, interessiert mich sehr. Ich werde mir das Buch auf alle Fälle besorgen. :thumleft:

Übrigens, da das Buch nur 173 Seiten hat, wäre es vielleicht auch etwas für unsere nächste gemeinsame Lesenacht...

Liebe Grüße
Siebenstein :wink:
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Re: Laborit, Emmanuelle - Der Schrei der Möwe

Beitragvon tom » 22.04.2007, 22:07

Pippilotta hat geschrieben: Warum war die Gebärdensprache verboten? Mit welcher Begründung??


Ja, soweit ich weiß kam oft als erste Reaktion, dass diese Sprache "obszön", unschön, unästhetisch wäre (sic!). Und es ist ja tatsächlich so, dass oft eine "Mehrheit" das Nichtverstandene (denn als Nicht-Gebärdenbeherrschender bist Du aufgeschmissen) einfach ablehnen. Da in unseren Ländern die gesprochene Sprache allgemein hin als die "einzig seligmachende "aufgefasst wird, wurden andere Kommmunikationsmöglichkeiten erst einmal weggeschoben. Die Akzeptanz der Gebärdensprache war ein langer Prozess. In gewisser Hinsicht könnte man die Ablehnung der Gebärdensprache parallel setzen zu einer Art Rassismus, bzw. Ablehnung des anderen, um es ganz einfach zu sagen. Das Ergreifende an diesem Buch ist unter nderem auch, wie es Frau Laborit gelingt, ihre Machtlosigkeit in der Kommunikation als kleines Kind darzustellen: nur mit ihrer Mutter konnte sie, ich glaube bis zum 8. Lebensjahr, durch eine "Geheimsprache" sich verständig machen! Die Entdeckung der Gebärdensprache war ein so befreiendes Erlebnis für sie... und sie hat in Frankreich bis heute sehr viel in diese Richtung in Gang gesetzt!!!

Siebenstein schreibt: ... und bin immer wieder fasziniert, wie Menschen mit dieser enormen Beeinträchtigung der Wahrnehmung ihr Leben meistern...

Ja, dann wirst Du dieses Buch lieben und - wie ich - fasziniert verschlingen. Unser erster Antrieb angesichts einer Behinderung bleibt oft in einem "Mitleid" stecken: der arme Kerl - was ist ihm/ihr doch alles verschlossen! etc. (Ich übertreibe) Aber wir sollten wohl über diese herablassende Schau hinauskommen und z.B. wirklich die Würde jedes Einzelnen anerkennen: er ist doch nicht nur "weniger" funktionsfähig! Im übrigen wird an vielen Stellen des Buches deutlich - und Du wirst die Erfahrung dann ja auch mit Blinden gemacht haben - dass ein Manko eines Sinnes durch die Überschärfe der anderen ausgeglichen wird, bzw. dort Sachen erfahren werden, die UNS sogenannten NICHTBEHINDERTEN verschlossen bleiben.
So lebt ein jeder Reichtümer, auch wenn etwas "fehlen" sollte...
tom
 

Beitragvon Krümel » 23.04.2007, 10:09

Dieser Thread wurde verschoben. Da er noch nicht im Index stand, war das kein Problem.

@ marilu
Er müsste also noch aufgenommen werden.
BildLiebe Grüße,
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Beitragvon Salome » 27.04.2007, 08:02

Das ist ja nun definitiv ein Buch für mich! ..... Und schon notiert...
Danke! :D
Salome
 

Re: Laborit, Emmanuelle - Der Schrei der Möwe

Beitragvon wolves » 27.04.2007, 16:20

tom hat geschrieben:Unser erster Antrieb angesichts einer Behinderung bleibt oft in einem "Mitleid" stecken: der arme Kerl - was ist ihm/ihr doch alles verschlossen! etc. (Ich übertreibe) Aber wir sollten wohl über diese herablassende Schau hinauskommen und z.B. wirklich die Würde jedes Einzelnen anerkennen: er ist doch nicht nur "weniger" funktionsfähig! Im übrigen wird an vielen Stellen des Buches deutlich - und Du wirst die Erfahrung dann ja auch mit Blinden gemacht haben - dass ein Manko eines Sinnes durch die Überschärfe der anderen ausgeglichen wird, bzw. dort Sachen erfahren werden, die UNS sogenannten NICHTBEHINDERTEN verschlossen bleiben.
So lebt ein jeder Reichtümer, auch wenn etwas "fehlen" sollte...


Du sprichst mir aus der Seele. Vielen Dank für diesen Buchtipp! Das habe ich mir notiert.
Liebe Grüße
wolves


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