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Netzer, Günter - Aus der Tiefe des Raumes




Netzer, Günter - Aus der Tiefe des Raumes

Beitragvon Voltaire » 14.06.2007, 11:00

Titel: Aus der Tiefe des Raumes. Mein Leben
Autor: Günter Netzer
Verlag: Rowohlt
Erschienen: Juni 2005
Seitenzahl: 272
ISBN: 3499619210
Preis: 8.90 EUR


„Als den wichtigsten Mann im deutschen Fußballgeschäft“ hat ihn DIE ZEIT mal bezeichnet. Ob das wirklich zutrifft, mag einmal dahingestellt bleiben, was Günter Netzer aber war bzw. ist, er ist neben Wolfgang Overath die „Nummer 10“ schlechthin.

Wer erwartet, in diesem Buch würde Netzer ohne Ende zu Indiskretionen greifen, der sieht sich getäuscht. Wirklich Neues erfährt man nicht. Aber was dieses Buch so lesenswert macht ist, dass Günter Netzer alles aus seiner Sicht erzählt, dass er auch zu seinen Fehlern steht und dass er sich nicht unbedingt als den Nabel der Welt ansieht. Er sagt wo er menschlich enttäuscht war und verteilt aber nie einseitig die Schuld am Scheitern.

Wenn man dieses Buch liest, dann ist man sofort zurückversetzt in große deutsche Fußballzeiten, zuallererst mit der großen Zeit von Borussia Mönchengladbach, einer Mannschaft, die in erster Linie von Günter Netzer im Verbund mit dem Trainer Hennes Weisweiler geprägt wurde. Günter Netzer wehrt sich aber dagegen, als der „Alleinschuldige“ für dieses Fußballmärchen herhalten zu müssen. Namen wie Jupp Heynckes, Herbert Laumen, Berti Vogts, „Hacki“ Wimmer sieht er immer auf Augenhöhe mit sich selbst.

Und dann war da natürlich auch noch die große Zeit des HSV, die fest mit den Namen Netzer und Ernst Happel aber auch mit Branco Zebec verbunden ist. Behutsam und sensibel geht Günter Netzer mit dem tragischen Schicksal von Branco Zebec um, ein Mensch, der offensichtlich dem Druck, der auf ihm lastete nicht gewachsen war.

Netzer ist jemand, der wirklich etwas zu erzählen hat, er gehört nicht zur Kategorie der Dampfplauderer, die es ja leider im heutigen Fußball in nicht geringer Anzahl gibt. Netzer weiß worüber er redet. Er macht klar, dass auch hoch bezahlte Profis in erster Linie Menschen sind und keine Maschinen.
Er lässt uns auch an seiner Kindheit teilhaben. Seine Eltern nahmen einen ganz besonderen Platz in seinem Leben ein. Er gibt unumwunden zu, dass er immer gern in sein kleinbürgerliches Zuhause nach Mönchengladbach zurückgekommen ist. Und er ist nie der Rebell gewesen, für den er immer gehalten wurde. Aber lange Haare und eine eigene Meinung passten eben in den Sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eben nur in die Schablone „Rebell“.

Wer den Fußball mag, der sollte dieses Buch lesen, wer ein klein wenig mehr über den Menschen Günter Netzer erfahren möchte, der sollte dieses Buch auch lesen – wer aber mit Fußball nichts im Sinn hat, der wird durch dieses Buch auch nicht zum Fußballfan werden. Der sollte sich für die 8.90 EUR, die das Buch kostet, lieber eine Currywurst mit Fritten leisten und so lieber zehn entspannte Essensminuten haben, als nur kopfschüttelnd drei Stunden nichts zu begreifen.

Es ist ein Buch über Fußball von einem der besten deutschen Spieler geschrieben. Es ist die Beschreibung eines Fußballerlebens von einem, der auch nach seiner aktiven Zeit dem Fußball immer verbunden geblieben ist, sei es als Manager des HSV oder bei seiner Tätigkeit als Sportrechteverwalter bei der Schweizer Firma Lüthi und eben auch als geistreicher Kommentator im Verbund mit Gerhard Delling (beide erhielten übrigens den Grimme-Fernsehpreis).

Günter Netzer erinnert an große Namen. Spieler, die ich fast alle habe live spielen sehen – nur eben den große Di Stefano nicht, den nur einmal im Fernsehen.

Ein lesenswerte Autobiographie, die nichts enthüllt, die manches etwas verständlicher macht, die keine schmutzige Wäsche wäscht, die sich aber nicht scheut, auch mal das eine oder andere kritische Wort an die Kollegen zu richten. Günter Netzer zeigt auch deutlich, dass der Satz auf der alten „Viktoria“: „Elf Freunde müsst Ihr sein wenn Ihr Siege erringen wollt“ im heutigen Profigeschäft keine Gültigkeit mehr hat und das der Geist von Spiez schon sehr, sehr lange tot ist.

Meine Bewertung:
:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

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Voltaire
 

von Anzeige » 14.06.2007, 11:00

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