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Trevor-Roper, Hugh - Der Eremit von Peking




Trevor-Roper, Hugh - Der Eremit von Peking

Beitragvon Krümel » 22.03.2009, 11:55

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Wirklich sagenhaft!

Hugh Trevor-Roper erzählt uns in diesem Buch von Edmund Backhouse, einem Baronet aus England und Sinologen, der in Peking zum Eremit mutierte.
Backhouse wurde 1873 als ungeliebter Sohn einer Quäkerfamilie geboren. Als Teenager schickte man ihn auf ein geistliches Internat, wo die Prügelstrafe an der Tagesordnung war. 1886 erhielt er ein Stipendium für das Winchester College und studierte Altphilologie. Privat beschäftigte er sich mit orientalischen Sprachen. Trotz seiner hervorragenden Leistungen schloss er sein Studium nicht ab.
In den darauf folgenden Jahren lebte er weit über seine finanziellen Mittel hinaus und machte überall Schulden. 1895 kam dann die fatale Wende für ihn, denn er wurde für bankrott erklärt. 1898 landete er nach einer langen Odyssee in Peking.
Dort angekommen entwickelte sich Backhouse blitzschnell zu einem genialen Übersetzer der chinesischen Schriftzeichen. Er schloss Bekanntschaft mit Morrison, dem Chefredakteur (China) der „Times“ und war ihm bei seiner Korrespondenz und Artikeln sehr behilflich.
Wenig später lernte er auch Bland kennen, ebenfalls ein Redakteur der „Times“, mit dem er sein erstes Buch herausbrachte: „China unter der Kaiserin Witwe“, dieses Werk beruht auf einem Tagebuch eines Kammer-Eunuchen und wurde zum Weltbestseller.
Backhouse sammelte in China über Jahrzehnte wertvolle Manuskripte, Büchersammlungen und Tagebücher, die er zeitlebens der Bodleian Bibliothek der Universität in Oxford spendete. Diese Sammlung bestand später aus über 30.000 seltenen Exemplaren und war ein Vermögen wert.

Aber Backhouse war nicht nur der hervorragende Übersetzer und Sinologe, er war immer auch ein raffinierter Betrüger, der nie mit offenen Karten spielte, ständig mitten im Chaos stand, und immer in Geldnöte war.
Durch seine Erscheinung und Auftreten konnte er Menschen an sich fesseln, die er alle hinter ihren Rücken betrog. Er verkaufte seltene Schriftstücke, Perlen und Juwelen, die es nicht gab. Fadenscheinige Ausreden fand er immer, wenn es nicht zur Übergabe kam, er aber schon längst sein Geld einkassiert hatte.
Er war bei Hofe, Diplomaten, Botschaftern und Ministern angeblich überall bekannt, pflegte Freundschaften bis in die tiefsten Kreise, was ihn immer wieder zu guten Geschäften brachte (Kriegsschiffverkauf, Banknotenverkauf und Waffenhandel), aber letztendlich platzten alle Unternehmungen, denn es war der große Schwindel des Backhouse!

Selbst das Tagebuch des Eunuchen, in komplizierter Grasschrift verfasst, die angeblich kein Europäer je fälschen könnte, wurde von ihm gefälscht. Hugh Trevor-Roper hat dies in mühsamster Kleinarbeit in diesem Buch aufgedeckt. Als Beweis führt er die Memoiren des Backhouse an, ein Blendwerk eines Phantasten, welches über eine übersteigerte Illusionswelt die Wirklichkeit ausblendet.
Es ist sagenhaft diese Beweisführung zu lesen, es fasziniert, begeistert und verschlägt einem den Atem. Alles Betrug und Fälschung, obwohl es von namhaften Fachleuten mehrmals überprüft wurde!

In wie weit jetzt dieses Buch „Der Eremit von Peking“ an der Wahrheit dran ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber das tut der Lektüre keinen Abbruch, sie liest sich wie ein spannender Kriminalroman und man erstaunt fortwährend.
Persönlich bin ich wegen „Hitlers letzte Tage“, die Trevor-Roper als echt anerkannt hatte, etwas mit Zweifel behaftet, aber es gibt zahlreiche Belege im Buch, die mir doch vor Augen halten, welch großer Phantast Backhouse war. Eine sagenhafte Lektüre!

Hugh Trevor-Roper
geboren 1914 und ausgebildeter Historiker, war im Mai 1945 als Geheimdienstoffizier der britischen Königin einer der ersten, die im zerstörten Führerbunker nach Spuren der verschwundenen Nazi-Größen suchte — und nach Hitler. Sein Bericht wurde unter dem Titel ”Hitlers letzte Tage“ ein Bestseller, der Trevor-Roper international bekannt machte. Er gab auch Hitlers Tischgespräche und die Goebbels-Tagebücher heraus.
Seine 1976 veröffentlichte Fallstudie über Sir Edmund Backhouse entlarvte den bis dahin anerkannten Chinaexperten als Fälscher und Phantasten. Zur besonderen Tragik des Lebens von Trevor-Roper gehört, daß er selbst wenige Jahre später auf einen der größten Schwindel der deutschen Publizistik hereinfiel, weil er 1983, wie andere internationale Experten, für die Echtheit der Hitler-Tagebücher bürgte. Hugh Trevor-Roper starb 2003 in Oxford.


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Zuletzt geändert von Krümel am 22.03.2009, 12:03, insgesamt 1-mal geändert.
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von Anzeige » 22.03.2009, 11:55

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Beitragvon Karthause » 22.03.2009, 11:56

Oh, ich hätte jetzt 5 Sterne erwartet.
Viele Grüße
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Beitragvon Krümel » 22.03.2009, 12:05

Karthause hat geschrieben:Oh, ich hätte jetzt 5 Sterne erwartet.


Du hast recht, ein halber gehört mindestens noch dazu :thumleft: Aber fünf kann ich nicht vergeben, da mein Zweifel dies verhindert. Als Laie hat man keine Chance das nachzuprüfen, und dieser nagt ein wenig :wink:
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