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Befreiungsschlag gegen parfümierte Slipeinlagen, Rasierzwang und Hygienewahn
Charlotte Roches erster Roman musste ja irgendwie etwas besonderes sein, sie selbst ist es ja schließlich auch selbst.
Protagonisten ihres Romans ist die 18 jährige Helen. Bei einer Intimrasur am Arsch, schneidet sie sich in den selbigen. Als die Wunde zu eitern beginnt geht sie ins Krankenhaus, muss operiert werden. Der Aufenthalt im Krankenhaus wird in Helens Leben schließlich ein Wendepunkt.
Hygiene wird bei mir kleingeschrieben
Helen hat ein - sagen wir - sehr inniges Verhältnis zu ihrem Körper und ihrer Sexualität. Es ist sozusagen ihr Lebensinhalt. Jede kleine Fantasie muss ausgelebt werden und jeder noch so verschrobenen, unbeantworteten Frage muss nachgegangen werden. Mit unbelasteter Neugier und Pioniergeist geht Helen auf eine etwas andere Entdeckungsreise ihres Körpers. Hiervon wird nichts an Körperflüssigkeiten ausgespart, Eiter, Wundschorf, Smegma… Helen plaudert über Analverkehr und Tampontausch mit der Freundin, wie andere in ihrem Alter über Schminktipps plaudern.
Charlotte Roche provoziert bewusst und übertreibt sicher auch an der ein oder anderen Stelle gerne mal mit Helens Ekel-Aktionen, ihrem Fetischismus und Hygieneekel. Allerdings ist das auch im Kontext notwendig damit der Leser aus der konventionellen Welt der Hyperhygiene erstmal hinausgeschleudert wird und sich in den Ursprüngen des Menschen wiederfinden kann.
Die Idee zu diesem Buch entstand aus Roches Wut über parfümierte Damenbinden und Intimlotionen, die Frauen suggerieren sie stinken da unten und zwar so schrecklich, dass man man das nicht einmal mit normaler Seife wegwaschen kann, beziehungsweise mit Maiglöckchenduft überdecken muss. Das führt bei vielen Frauen zu Hemmungen z.B. beim Oralverkehr. Während Männer losgelöst mit ihrem Sperma und Smegma wenig Sorgen haben, ich habe bis dato zumindest noch keine Intimlotion für Männer entdeckt. Frauen haben nun einmal Vaginalsekrete, Frauen kacken, Frauen haben ihre Tage, Frauen sind eben Menschen, Menschen die ihre Fetische und auch ihre Ekelseiten haben. Ich kann Roches Bedürfnis nach diesem Buch sehr gut verstehen und bin froh solch offene und unverklemmte Worte zu dem Thema gelesen zu haben. Ein Befreiungsschlag gegen die Mafia der Damenhygiene.
Die andere Seite des Buchs ist fast tragische Hintergrund der Figur Helen. Er scheint nur an einigen Stellen des Romans durch, gerade genug um zu verstehen, warum einiges an dem Mädchen so extrem ist. Helen ist Scheidungskind, leidet sehr darunter, fühlt sich unsichtbar. Daher ihr starkes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, danach andere zu schockieren und einen Teil von ihr mit anderen zu verbinden, was ihr scheinbar nur über das Verstreuen ihrer Bakterien zu gelingen scheint. Einzig Pfleger Robin kommt Helen nah. Ihm gelingt es durch Helens Fassade zu dringen.
Roches Romans ist in einer Sprache geschrieben, die der der 18-jährigen Helen entspricht. Einach, kurz auf den Punkt gebracht, cool, nah der realen Gegenwart. Es liest sich daher locker flockig, auch durchs Roches einmaligen Humor, der mal subtil durchscheint, mal wie ein Hammer kommt. Ich habe an einigen Stellen herzlich gelacht und auch sonst habe ich mich prächtig amüsiert. Auch die Message ist bei mir angekommen. Also ein stimmiges, gutes Leserlebnis.
Witzig finde ich vor allen Dingen die Reaktionen, bzw. Rezensionen zu diesem Buch, besonders die bei Amazon. Allein der Klappentext, bzw. Beschreibungen des Buchs lassen doch ziemlich deutlich durchblicken was einen erwarten könnte. Nein, jeder Otto-Normal-Spiesser muss das Buch trotzdem haben und lesen, und sei es nur um sich hinterher über die sooooo ekligen Szenen (die meist gar nicht sooooo ekelig sind) aufzuregen. Ist mir ein Rätsel. Vielleicht um vor den anderen klarzustellen, wie sauber und rasiert sie doch sind im Gegensatz zu Ekel-Helen, sonst könnte man ja sonst was von Ihnen denken. Lustig, dass man die Leute doch noch schocken kann!
Weiter so Charlotte!
ISBN: 3832180575
DuMont Buchverlag GmbH
Februar 2008 - kartoniert - 219 Seiten
14,90 €