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Homann, Ludwig "Der Hunne am Tor"




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Homann, Ludwig "Der Hunne am Tor"

Beitragvon Karthause » 07.07.2006, 19:22

"Der Hunne am Tor"
Ludwig Homann
287 Seiten
Haffmans Verlag (Januar 2002)
ISBN: 3251005022

Klappentext:
Fridtjof Beese, inzwischen ein alter Mann, lebt in einer kleinen westfälischen Gemeinde und scheint mit seinem Leben abgeschlossen zu haben. Doch er wird auf schreckliche Weise von seiner Vergangenheit eingeholt, als er erfährt, dass sein Enkel sich in einer rechtsradikalen Kampfsportgruppe herumtreibt, die sich gerade rüstet, mit einem neu in der Gemeinde aufgestellten Wohncontainer für Asylbewerber kurzen Prozess zu machen. In dieser Situation trifft Fridtjof einen Verwandten ebenjenes Jugendfreundes, der er im Dritten Reich den Nazis ausgeliefert hat, einen Schriftsteller aus Israel. Zum ersten Mal kann Fridtjof über seine Vergangenheit sprechen ...

Über den Autor:
Ludwig Homann, geboren 1942 in Schlesien, lebt als freier Schriftsteller in Glandorf bei Münster in Westfalen. Im Haffmans Verlag erschienen: "Engelchen" (Erzählung) – "Ada Pizonka" (Roman) – "Klaus Ant" (Ein Erziehungsroman) – "Der weiße Jude" (Roman).

1998 erschien im Haffmans Verlag Ludwig Homanns Roman "Der weiße Jude", die Geschichte des vom Nationalsozialismus begeisterten Gymnasiasten Fridtjof Beese, der wider Willen seinen besten Freund denunziert. Erzählt wird, wie Fridtjof, der im Dritten Reich als "Judenfreund", als "weißer Jude" galt, mit seiner Schuld, die er selbst für unverzeihlich hält, zu leben versucht. "Der Hunne am Tor" ist eine Fortführung dieser Geschichte, für die Ludwig Homann 2000 den Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis erhielt.

Meine Meinung:
Fridtjof Beese geht auf die 70 zu und ist seit 2 Jahren Witwer. Er lebt einsam und zurückgezogen in seiner eigenen Welt, in der er fast schon gefangen ist.

Hinter seinem Grundstück werden „die Dunklen“ in einen Wohncontainer einquartiert. Sie lümmeln auf der Friedhofsmauer herum, verwüsten Gräber und durchqueren seinen Grund als Abkürzung. Bis auf vier afrikanische Sportler, die hätte Fridtjof gern als Freunde.

Eine rechtsradikale Gruppe im Ort will für Ordnung sorgen, aber als er sieht, dass auch sein Enkel dort mitmacht, fühlt er sich von seinem eigenen Tun während der NS-Zeit eingeholt. Er hört Stimmen, die ihm längst vergessen geglaubte Parolen und Schlagwörter in seine Gedanken spucken.

Und da ist Rixa, seine Jugendliebe, deren Schwester Methi er jedoch heiratete. Alte Gefühle brechen wieder auf – waren sie je verschlossen? Doch darf er sie heute noch lieben, was sagen die Leute im Ort? Er ist in sich gefangen.

Es war der Alltag des Fridtjof Beese, seine Einsamkeit, seine innere Unruhe, seine heimliche Liebe zu Rixa und seine "Dämonen", was mich an diesem Buch nachhaltig gefangen genommen hat. Ich habe das Buch schon vor ein paar Tagen beendet. Konnte aber nicht gleich danach meine Meinung dazu niederschreiben, es musste sich erst alles setzen. Auch jetzt sind meine Gedanken noch häufig bei Fridtjof Beese. Ludwig Homann hat einen bewegenden, leisen und einfühlsamen, aber auch ungewöhnlichen Roman geschrieben. Dieser ist zwar die Fortsetzung von "Der weiße Jude", man kann aber "Der Hunne am Tor" auch als einzelnen Roman gut lesen.

Anfangs musste ich mich etwas an den Schreibstil von Homann gewöhnen, das Buch, das ich vorher las, hatte lange geschachtelte Sätze, dieses hat eher eine kurze und knappe Satzform. Aber das gelang mir recht schnell.

Fazit:
Dies war ein Buch, dessen Protagonist bei mir ganz persönlich angekommen ist. Es ist von hoher Aktualität geprägt und äußerst lesenswert. Ich glaube es würde euch auch berühren.

:stern: :stern: :stern: :stern:

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Beitragvon Krümel » 07.07.2006, 20:10

Hi, Karthause, ich hab´s bestellt. War zudem ein Schnäppchen :wink:
BildLiebe Grüße,
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Beitragvon Krümel » 11.12.2006, 12:47

Ich hatte ganz große Prbleme mit dieser Rezi! Denn die Verkettung ist soo riesig, wenn man einmal anfängt zu erzählen, läuft man Gefahr alles preiszugeben. Ja, das war eine schwierige Geburt!

„Der Hunne am Tor“ ist der Folgeband von „Der weiße Jude“, der 1998 erschien und die Geschichte Fridtjof im II. Weltkrieg erzählt. Ich bin mir fast schon sicher, dass es auch einen dritten Band geben wird, denn die Widerbegegnung mit Hasselfeld steht noch frei im Raum.

Ich möchte zunächst auf die Sprache eingehen, denn das ist der Knackpunkt bei diesem Roman. Selten habe ich eine so schlampige Sprache gelesen. Die Satzstellung lässt oft zu wünschen übrig, sie ist sehr umständlich gewählt, so dass kein vernünftiger Lesefluss zustande kommt. Reine Nebensätze werden beispielsweise nicht in den Satz integriert, sondern als Satz deklariert. Der Leser stolpert ständig über solche Fehler, und das ist einfach ärgerlich.

Sieht man von dieser Schwäche ab, dann ist „Der Hunne am Tor“ ein sehr reiches Buch.
Fridtjof ist seit zwei Jahren Witwer, und lebt sehr zurückgezogen. Jeden Tag besucht er das Grab von Methi, auf dessen Grabstein schon sein Name wartet. Zuhause wandert er ständig zwischen Küche und Schlafzimmer hin und her. Zu einem steht im Schlafzimmer das Bild von Methi, und die Küche ist weitere Raum, der genutzt werden kann. Das Wohnzimmer muss er verdunkeln, denn hinter seinem Grundstück wurde ein Container aufgestellt, in dem Asylanten wohnen. Eigentlich hatte Fridtjol der Stadt diesen Boden zur Erweiterung des Friedhofs veräußert, doch jetzt leben „die Dunklen“ hinter seinem Garten.
Sie sitzen auf der Friedhofsmauer von mittags bis Mitternacht, werfen ihre Abfälle über die Mauer, und benutzen die Grabmäler für ihre Notdurft. Stilles beten und in sich kehren ist für die Trauernden nicht mehr drin, ständig werden sie von den Fremden beglotzt.

Und hiermit beginnt die totale Verkettung des Romans. Der Leser erfährt, dass Fridtjof im Krieg einen Halbjuden als Freund hatte, und er selber bei der Hitler-Jugend war. Dass er seinen Freund auf Grund von Ekel ausgelöst von Behinderten, die jetzt auch wieder im Städtchen untergebracht sind, verraten hat. Und dass die Rechtsradikalen wieder für Ordnung sorgen, und die dunklen „Juden“ sowie Behinderte wie ein Dejá-vu Fridtjof bedrängen.
Selbst der Leser muss sich die Gewissensfrage stellen; denn er freut sich ungemein als die „Neger“ Besen in Hände gedrückt bekommen, und endlich ihren Unrat beseitigen müssen; wieweit er mitlaufen darf.
Wann und wer schreitet hier ein? Die Bewohner? Die Polizei? Fridtjof?

Selten habe ich eine solch grandiose Handlung gelesen, ein Mosaiksteinchen fügt sich zum anderen, alles hat einen Sinn und stellt gleichzeitig die Frage nach dem Sinn. Abgesehen von der Sprache, ein beeindruckendes Buch, welches ich empfehlen kann.


:stern: :stern: :stern: :stern:
Zuletzt geändert von Krümel am 11.12.2006, 15:25, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Karthause » 11.12.2006, 14:02

Ja, mit der Sprache hatte ich auch ein Problem, deshalb blieb es bei mir auch bei den 4 Sternen. Nicht auszudenken, welch ein Roman hätte entstehen können, wenn Homann uns auch mit einem besseren Sprachstil beglückt hätte. Hat er leider nicht, aber trotzdem werde ich im nächsten Jahr "Der weiße Jude" lesen. Ich weiß ja jetzt wie er schreibt und werde vorbereitet sein. :wink:
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Beitragvon Krümel » 12.12.2006, 19:44

Die überarbeitete Version steht im Blog.
Was ich dazu gelernt habe, ist, dass meine erste Version immer erst als Grobfassung gelten kann, und ich nach einiger Zeit nochmals drauf schauen muss ... :roll: :mrgreen:
BildLiebe Grüße,
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