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Carrère, Emmanuel - Un roman russe




Carrère, Emmanuel - Un roman russe

Beitragvon tom » 13.09.2007, 17:13

Nach den Worten Carrères haben « Verrücktheit und Grauen » sein Leben und sein Werk zutiefst geprägt. Nach letzten Werken wollte er aus diesem Teufelskreis heraustreten und den vermeintlichen Ursprüngen von all dem in seiner eigenen Familiengeschichte auf dem Grunde gehen, indem er einen davon ausgehenden „Bericht“ schreibt. Dabei geht er insbesondere aus vom vermeintlichen Familientabu, dem im Herbst 1944 mysteriös verschwundenen russischstämmigen Großvater, der sehr wahrscheinlich aufgrund der „collaboration“ (mit den Deutschen) bei Bordeaux hingerichtet worden ist. Dieses nie offen ausgesprochene Geheimnis belastete sicherlich die (überaus bekannte) Mutter, Hélène Carrère d’Encausse und bis hinein in die Generation von Emmanuel. Seine Nachforschungen, seine innerliche Auseinandersetzung mit den Ursprüngen eines Teiles seiner Familie in Russland/der Sowjetunion führen ihn auf die Spuren eines in den Kriegswirren in Russland verloren gegangenen Ungarns, der im Jahre 2000 in einer psychiatrischen Anstalt wieder entdeckt wird. Carrère entscheidet sich für einen Filmbericht über sein dortiges Erleben und lässt sich auf ein unentgeltliches Mitleben in einer abgeschiedenen Stadt Russlands ein. Das Nacherzählen dieser Stränge und vor allem auch das gleichzeitige Erleben einer sehr intensiven Liebesbeziehung machen das Buch aus.

Ich war sehr beeindruckt vom Schreibstil Carrères, den ich erstmals entdeckte: da ist eine oft sehr flüssig und leicht zu lesende Art! Was er aber erzählt ist manchmal nah dem Albtraum oder aber mir schon fast zuviel werdende ausführliche Beschreibungen sei es seines Liebeslebens oder recht privater Angelegenheiten. So wuchs manchmal in mir der Eindruck, zum Voyeur zu werden und ich frage mich, ob Carrère - er spricht dieses Problem selber ausdrücklich an - gut daran tut, auch seinen Angehörigen bzw. seiner Geliebten gegenüber, all das auf dem Marktplatz auszubreiten. Ich bin nicht zu einem abschließenden Urteil gelangt... Was aber durchaus fasziniert ist, wie es dem Autor gelingt, die Komplexität menschlicher Gefühle oder in all den in Russland spielenden Abschnitten die widersprüchliche Vielfalt der „russischen Seele“ wieder zu geben. Die Aufrichtigkeit und Schonungslosigkeit der Darstellung sind also meines Erachtens gleichzeitig die Stärken und die Schwächen dieses Buches. Wer so schreibt macht sich letztlich verletzlich, doch schreibt sich einen großen Teil seiner „Erblast“ von der Seele. Das verdient Respekt, auch wenn ich manchmal meinte, dass zur ganz großen Reife auch ein Stück Zurückhaltung und Andeutung als Ausdruck verwendet werden können.

Trotz dieser Abstriche ein zu entdeckendes Buch!!! (Das hoffentlich bald auf Deutsch erhältlich sein wird?!)

:stern: :stern: :stern: :stern:

Broché: 356 pages
Editeur : POL (1 mars 2007)
Collection : FICTION
Langue : Français
ISBN-10: 2846821828
ISBN-13: 978-2846821827
tom
 

von Anzeige » 13.09.2007, 17:13

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