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Leskow, Nikolai - Am Ende der Welt




Leskow, Nikolai - Am Ende der Welt

Beitragvon mombour » 29.01.2011, 11:23

Nikolai Leskow: Am Ende der Welt (Erzählung)

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An das Ende der Welt, nach Sibirien, dort wo es wimmelt von Schamanen und Buddhisten , dorthin in die heidnische Ecke des sonst so orthodoxen Russlands, muss das christliche Licht noch hingetragen werden. Dunkle Seelen müssen erhellt werden. Missionieren, koste es was es wolle, schließlich müssen alles Seelen errettet weden. Gerade erst, am 25 11. meldetet die katholische internationale Preseagentur: „Mission bleibt zentrale Aufgabe der Kirche“ (Benedikt XVI) und dann der Hinweis, es gäbe ja noch immer Völker, die die christliche Botschaft noch nicht empfangen hätten (vgl. hier). Da die kath. Kirche dem Missionsauftrag der Bibel folgt - „Wer da glaubt und getauft wird, wird errettet werden; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden" (Mk 16,15.16) - wird die Kirche erst zufrieden sein, wenn sie alle Seelen aus der Verdammung geholt hat. Nikolai Leskow, der seine Stellung im Kultusministerium wegen Kritik an Staat und Kirche verlor, kritisiert in seiner Erzählung „Am Ende der Welt“ den unbeugsamen Missionsdrang der orthodoxen Kirche.

Ein junger Geistlicher, der zum Bischof einer fernen sibirischen Eparchie ernannt worden ist, beklagt sich über die missliche Lage der Missionsarbeit. Ein großer Teil der Bekehrungen ist nur auf dem Papier. Viele Getaufte, die dem Lamaismus und Schamanismus angehörten, kehrten wieder zu ihrer Religion zurück. Es entfaltete sich auch ein „grotesker Mischmasch“:
Leskow hat geschrieben:Sie beteten zu Christus und zu den Aposteln, zu Buddha mit seinen Bodhisattvas und Dämonen sowie den Filzbeuteln mit den Schamanenfetischen.


Es ist zwar so, dass Buddhisten nicht beten (sondern meditieren), aber in der Religionsgeschichte sind Religionsvermischungen durchaus bekannt. In der Spätantike verwechselten viele gläubige Christen ihren Christus mit dem römischen Sonnengott Jupiter.

Der frisch ernannte Bischof in unserer Erzählung will in einem Kloster eine Schule für Fremdstämmige gründen und trifft dort auf den Pater Kiriak an, der als einziger Mönch dort die jakutische Sprache, eine der nördöstlichen (sibirischen) Turksprachen, beherrscht, die in der Ortschaft gesprochen wird. Dieser Mönch weigert sich, die Fremdstämmigen zu misionieren.

Leskow hat geschrieben:Eines Tages hat er irgendein Erlebnis gehabt; da ist er aus der Steppe zurückgekehrt, hat Myrrenbehälter und Hostiengefäß zum Altar gebracht und gesagt: „Ich stelle sie weg und nehme sie nicht wieder, als bis die Stunde gekommen ist.


Niemand wusste, was ihn dazu bewog, niemand wusste, welche Stunde er gemeint hat.

Bemerkenswert ist, seine Eminenz der Bischof, ist in dieser Erzählung derjenige, der lernen muss, oder sagen wir anders, der nicht von Weisheit beschlagen ist. Pater Kiriak versucht dem Bischof klar zu machen, die Taufe bringe nichts, wenn die Getauften nicht vom Geiste Christi erfüllt werden. Anhand einer Heiligenlegende lehrt er, dass Missionseifer Unfrieden bringen kann, die Sprache der Jakuten nicht geeignet ist, komplizierte theologische Sachverhalte auszudrücken, die Gegenüberstellung von Gläubigen und Ungläubigen sowieso kränkelt, weil Gott, so Kiriak, alle erschaffen habe. Es ist schon toll, wie der Bischof hier zum Adepten wird, seine Eminenz natürlich für die ganze Kirche steht. Missionierung aller Ungläubigen ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Das muss dann schließlich selbst von dem Bischof erkannt werden, der von einem heidnischen Wilden aus einem Schneesturm gerettet wird und eine innere Wandlung erfährt.

Anhand des Bischofs wird die orthodoxe Kirche Russlands ziemlich geschwächt dargestellt, ja, ziemlich hilflos und verloren. Die schönste Figur der Erzählung bleibt für mich der weise Pater Kiriak, der als Verkörperung von Weisheit die Austrahlung eines Heiligen verfügt. Vielleicht eine Ausdünstung meiner Fantasie oder es entspricht der Wahrheit, dass dieser Pater eine Wunschvorstellung Leskows war, wie er sich die Vertreter der orthodoxen Kirche erträumte. Wie krass ist doch der Unterschied zwischen dem aus Herzen agierenden Kiriak und dem von theologischen Dogmen gebeutelten Bischof. Die Botschaft von Leskows Erzählung ist eindeutig. Die Fremdstämmigen, die sog. „Wilden“, haben eine großartige Kultur, dorthin Kleriker mit dem Herzen („Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“) schauen mögen. Mit Respekt.

Liebe Grüße
mombour
Thomas Hardy: Herzen in Aufruhr
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