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Ungar, Hermann - Knaben und Mörder




Ungar, Hermann - Knaben und Mörder

Beitragvon mombour » 09.01.2013, 15:37

Hermann Ungar: Knaben und Mörder
Zwei Erzählungen (1921)

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I. „Ein Mann und eine Magd“

Eine Ich-Erzählung. Der Protagonist ist ohne elterliche Fürsorge aufgewachsen und verbrachte seine Jungend in einem Siechenhause. Auch wenn er dort als einziger Knabe zu Arbeiten ausgenutzt wurde, fühlte er sich aufgrund seiner dortigenAufgaben als ein „notwendiges, wenn nicht bedeutendes Glied der Gesellschaft. In der Schule dagegen wurde er, weil seine Mutter ihm in Stich gelassen hatte, nur verhöhnt und verachtet. Im Siechenhaus fühlte er sich zur Magd Stasinka hingezogen. Ohne weiteres können wie sie als für den Jungen gewünschten Mutterersatzes sehen. Und hier wiederholt sich das Trauma des Verlustes seiner Mutter. Einen zärtlichen Annäherungsversuch wehrt die Magd ab.

Jahre später. Mit vierzehn Jahren verlässt der Junge das Siechenhaus, will sich mit Arbeit durch das Leben schlagen. Vor allem will er viel Geld verdienen und Stasinka beeindrucken, reist sogar nach Amerika und kehrt als reicher Herr zurück. Stasinka lässt sich von seinem Reichtum überhaupt nicht beeindrucken. Ihr Leben ist voll von Demut, eine Gehorchende, eine Fromme, die nur ihre Arbeit tut. Es bleibt dabei, Reichtum hat für sie keine Bedeutung. Stumm und völlig uninteressiert begleitet sie unseren Protagonisten auf seiner zweiten Amerikareise. Weil sie ihn zurückweist, will er sich an der Magd rächen und verkauft sie an ein Rotlicht – Etablissement.

Obwohl er reich geworden, ist er ein glückloser Mensch geworden, der, was Menschlkeit betrfft, arm geblieben ist. Hier dürfen wir an den Beginn der Geschichte anknüpfen. Von seinen Eltern hat er auch keine menschliche Wärme bekommen. Ungar zeigt aber auch, dass ein Mensch mit seinem Kindheitsschicksal sich auch ganz anders entwickeln kann. Gerade dieser Umstand verleiht der Geschichte Größe und hebt sie weg von banaler Schwarz – Weiß – Malerei eine ungünstige Erziehung müsse unbedingt auch ein ungünstiges Menschenschicksal hervorbringen. Die erotische Passagen dieser Erzählung waren zur Zeit der Enstehung, 1921, sicher außergewöhnlich und mutig, heute allerdings e nichts besonderes.

Hermann Ungars intensive bildhafte Beschreibungen haben mir sehr gefallen.

II. „Geschichte eines Mordes“

Die Geschichte beginnt mit der Überlegung, wo das sog. Böse zu orten sei. Der Protagonist weiß nicht, ob seine Abneigung gegen bucklige Menschen die Folge von seiner Abneigung gegen den buckligen Friseur der Stadt ist., oder ob es sich anders Verhalt, seine Abneigung gegen den Friseur seine Abneigung gegen Bucklige bestätigt. Sein Widerwillen gegen alles Schwache und mit Makel Gezeichnete ist nur ein Spiegel seiner selbst. Er, unser Protagonist, der Soldat werden wollte, aber da er zu kränklich und schwach ist, wurde er aus der Kadettenschule schnell wieder gefeuert.

Psychologisch gesehen schreibt Hermann Ungar über eine Form des Abwehrmechanismus, der „Verschieben“ genannt wird. Sein Selbsthass verschiebt sich auf den Friseur, außerdem auch auf Tiere, die er sadistisch quält. Es sei bemerkt, auch der Protagonist, der, obwohl er nie Soldat war, „Soldat“ genannt wird, war wie auch der Protagonist der vorangegangenen Erzählung in seinen Knabenjahren nie von Liebe umgeben. In den beiden Erzählungen, die Ungar unter dem Titel „Knaben und Mörder“ veröffentlicht hat, geht es immer darum, wie sadistisch ein Mensch werden kann, der ohne liebevolle Erziehung aufgewachsen ist. Der Vater des sog. „Soldaten“ in unserer zweiten Erzählung, wird als „General“ verspottet. Er ist Militätarzt gewesen, aber niemals General. Unehrenhaft aus dem Dienst entlassen. Der Spott, der vom buckligen Fiseur eingeleitet wird, wird sehr subtil beschrieben und psychologisch meisterhaft ausgeleuchtet. Schließlich wird der Vater von vielen Menschen der Stadt als „General“ subtil verspottet. Der ehemalige Militärarzt kann sich dagegen wehren. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn wir mit heutigem Vokabular sagen, der Vater wurde gemobbt. Sein Sohn, der sog. „Soldat“, will seinem Vater Würde zurückgeben. Er schafft es aber nicht.

Die beiden Erzählungen sind heute immer noch aktuell. Hermann Ungar hat ein großes Gespür für menschliche Verhaltensmuster.
:stern: :stern: :stern: :stern:
Liebe Grüße
mombour
Thomas Hardy: Herzen in Aufruhr
Fernando Pessoa: Buch der Unruhe
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