Wie verhagelt man einem angesehenen Wiener Internisten den Urlaub in Venedig?
Genau, in dem man zu ihm reist und ihn bittet sich jemandes Freund anzunehmen...
Dieser Wiener ist namentlich gesprochen Hr.Dr. Josef Breuer, seines Zeichen Kapazität auf dem Gebiet der Erforschung des Gleichgewichtssinn und der Lungenaktivität bei Menschen, und gerade eben welcher macht Bekanntschaft mit einer jungen, geheimnisvollen und beängstigend selbstbewussten Russin. Lou Salomé.
Jene bittet Ihn sich um einen Patienten ganz besonderer Art anzunehmen, einem Patienten der zwar oberflächlich "normale" Gebrechen haben mag aber dessen Schmerz tiefer sitzt, nämlich in der Seele.
Breuer´s anfänglichen Sträuben entgegnet Salomé mit der Darlegung, daß ihr Bruder eine Vorlesung des Herrn Doktors besucht habe in dem der Fall einer gewissen Anna O. behandelt wurde die nicht durch Spritzen, Einläufe oder andere Mittelchen ihre Gesundheit wieder gefunden habe, sondern einfach nur durch eine simple "Rede-Kur".
Nicht das besprechen der Symptome selbst sondern das auf den Grunde gehen, das freilegen der ursächlichen Störung an Körper und auch Geist haben dieser Frau zu ihrer Genesung verholfen.
Und gerade eben solch eine "Kur" fordert Breuer´s russische Gegenüber, denn ihr Freund, um den es geht, ist niemand geringerer als der größte -kommende- Philosoph im deutschen Sprachraum und sein Name sei Nietzsche, Friedrich Nietzsche.
Aus dem Urlaub zurückgekehrt, einige Tage später, klopfte auch schon dieser ominöse Nietzsche in der Bäckerstraße, 2. Stock, an die Praxistür Breuer´s und präsentierte sich genau so wie Lou Salomé beschrieben.
Zwar ausgesucht höflich aber dennoch, steif, verschlossen und sehr Wortarm.
Und an noch etwas das die hübsche Russin gesagt hat entsann sich Breuer in diesem Moment:
"Fritz darf nichts davon wissen das ich sie konsultiert habe und daß er von Ihnen einer "Rede-Kur" unterzogen werden soll..."
Wie also einen Patienten eine Behandlung angedeihen lassen von der er nichts wissen darf, der schon von einem ganzen Duzend Ärzten erfolglos behandelt wurde und, wie der Herr Doktor feststellen musste, obendrein noch störrisch ist und sich nicht helfen lassen will selbst als er einige Tage später einen schlimmen Migräneanfall erleidet der jeden normalen Menschen womöglich umgebracht hätte?
Breuer ist findig hat aber nicht mit der Intelligenzija seines Patienten gerechnet...
Eines Vorweg. Breuer´s Idee ist der Nährboden aus dem das Buch seine Kraft und Faszination schöpft und die Bühne für wahrlich geschliffene, feinsinnige und auch unterhaltsame Dialog darstellt.
Und Nietzsche weinte, aus der Feder Irvin D. Yaloms, könnte, rein vom technischen Standpunkt her, gar nichts anderes als ein fader Schinken sein. Staub trockene Dialoge, mitunter über 10-15 Seiten nur zwischen den beiden Hauptcharakteren, kurze Trips ins Seelenleben zweier Anfangsvierziger die um ihre bereits vertane Lebensspanne nachtrauern. Und das ganze dann auch noch in einem Zeitalter (1882) in dem rein gar nichts spektakuläres geschehen sein mag...
All dies mag so manch ein Leser nur aus der Nennung der Namen
Breuer und
Nietzsche ableiten, und stellt das Buch wieder in das Regal zurück.
Aber Halt!
Hinter diesen beiden Namen, in Verbindung mit dem Schriftsteller Yalom, steckt eine Geschichte die es lohnt sich näher anzusehen.
Niemand, der sich auf das Buch einlässt, muss befürchten von Zitaten und sonstigen hochtrabenden Geistesblitzen erschlagen zu werden.
Niemand braucht sich fürchten Worte und Beweggründe nicht zu verstehen oder dem Handlungsverlauf nicht mehr folgen zu können.
Niemand soll sich vom Namen
Nietzscheund seinem überbordenden Intellekt abschrecken lassen.
Denn gerade hier liegt die Meisterschaft des Schreiberlings Yalom.
Er skizziert zwei Charakterköpfe im Zwiegespräch.
Eingebunden in eine originelle Handlung führt er den Leser nicht nur verständlich an die ersten Gehversuche der Psychoanalyse heran sondern zeigt Breuer den Arzt und Nietzsche den Denker ganz privat, seelisch nackt.
Dies alles jedoch so unterhaltsam, mitreißend und vor allem sympathisch das man sich einfach nicht gegen die Wortgefechte währen kann...oder will.
Das Buch selbst ist in seiner Schrift und Art einfach gehalten ohne jedoch an Niveau einzubüßen. Im Gegenteil, gerade die Verständlichkeit gibt dem Leser ein gutes Gefühl dahingehend nie den Überblick zu verlieren und nicht, wie in so manch anderem Werk, gefrustet 10 Seiten Zurückblättern zu müssen um sich in Erinnerung zu rufen was denn nun die eigentliche Frage war.
Garniert wird das ganze dann noch mit einem charmanten Wiener Setting das, dank der hervorragenden Übersetzung von Uda Strätling, gekonnt seine Umsetzung ins Deutsche fand und einen sehr charmanten Mittzwanziger namens Sigmund Freud als Nebenfigur beheimatet.
Das lesen von Philosophischen Zitaten aus einem Büchlein ist eine Sache, aber was ist wenn der Philosoph -dank der Literatur- gegenwärtig ist und man sieht in welcher Gemütslage er solche Aussagen tätigt? Nicht als der große Denker sondern als kleiner, geplagter Mensch, quasi der verschrobene Nachbar von der Wohnung gegenüber?
Finden Sie es heraus geschätzter Leser, es lohnt sich...