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Tabucchi, Antonio - Erklärt Pereira




Tabucchi, Antonio - Erklärt Pereira

Beitragvon Pippilotta » 08.04.2010, 07:20

August des Jahres 1938. In großen Teilen Europa übernehmen faschistisch-diktatorische Regime die Macht, so auch in Portugal, wo sich die Diktatur des Antonio de Oliveira Salazar etabliert, Medienzensur, Überwachung und weitere totalitäre Instrumente prägen den Alltag.
Dies alles geht fast unscheinbar an Pereira, einem gebildeten, intelligenten aber sehr zurückgezogen lebenden Journalisten, vorbei. Er betreut das Kulturressort einer kleinen portugiesischen Abendzeitung, beschäftigt sich lieber mit den französischen Schriftstellern des 19. Jh. statt mit der unangenehmen Realität und spricht mit seiner verstorbenen Frau. Als er Monteiro Rossi, ein junger Mann, der über den Tod in der Literatur promoviert hat, kennenlernt und ihn als freien Mitarbeiter einstellt, um Nachrufe für die Zeitung zu schreiben, wird er mit der Realität konfrontiert. Die Zeitungskolumnen, die Rossi produziert, sind allesamt unbrauchbar, vielmehr ist Rossi politisch im Widerstand höchst aktiv. Pereira kann sich seine Faszination an der Person des jungen Mannes selber nicht erklären, sieht in ihm aber ein wenig den Sohn, den er selber nie hatte und fühlt sich in seine eigene Jugendzeit versetzt. Er unterstützt ihn wo er nur kann und wird auch selber immer weiter in die politische Realität hineingezogen.

Diese politische Bewusstseinswerdung vom zurückgezogen, einsamen, in der Vergangenheit lebenden Pereira zum regimekritischen, und letztlich auch aktiven Widerstandskämpfer wird ganz subtil und in kleinen Schritten in Form eines Protokolls erzählt, das mit den Worten „Pereira erklärt...“ beginnt und mit „... erklärt Pereira“ endet. Dazwischen wiederholen sich diese beiden Worte ständig, degradieren aber niemals zur nervigen Wendung sondern geben dem Bericht den Anschein eines Verhörs und entwickeln eine beklemmende Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann. Wer dieses Protokoll aufnimmt, erfährt man erst im Nachwort.

Ein sehr nachhaltig beeindruckendes Buch, dessen leichte Lesbarkeit nicht über den Anspruch des Inhalts hinwegtäuscht. Absolute Empfehlung!

Das Buch wurde 1995 von Roberto Faenza mit Marcello Mastroianni in der Hauptrolle verfilmt. Den Film kenne ich leider nicht.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

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Pippilotta


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von Anzeige » 08.04.2010, 07:20

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Re: Tabucchi, Antonio - Erklärt Pereira

Beitragvon Katia » 25.09.2010, 12:49

"Erklärt Pereira" habe ich Ende der 90er das erste Mal gelesen, weil mir die Verfilmung so gut gefallen hatte.
Jetzt, als ich meine Bücherregale nach Lissabon-Lektüre, abgesucht hatte, habe ich es ein zweites Mal gelesen und der vage-positive Eindruck, hat sich mehr als bestätigt.
Den :stern: :stern: :stern: :stern: :stern: von Pippi kann ich mich nur anschließen. Es ist ein leises Buch, wie sein übergewichtiger Protagonist, der - vom Tod schon mehr fasziniert als vom Leben - durch den politisch aktiven Rossi zurück in die politische Wirklichkeit seines Landes findet.

Unbedingt eine Empfehlung!

Katia
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