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Damasio, Antonio - Descartes' Irrtum




Damasio, Antonio - Descartes' Irrtum

Beitragvon Krümel » 26.01.2012, 12:57

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Dieses Buch ist für den Laien wunderbar verständlich geschrieben!

>>Aus dem Klappentext:
Antonio R Damasio stellt den Dualismus in Frage, der bis heute das westliche Denken beherrscht: Geist versus Körper, Verstand versus Gefühl, Biologie versus Kultur. Durch sein Buch erkenenn wir – möglicherweise zum erstenmal – die enge Verbindung zwischen unserem neutralen Gewebe und den Höhen und Tiefen menschlichen Erfahrens und Erlebens. (Howard Gardner)<<


Im ersten Teil zeigt uns Damasio anhand von Fallbeispielen wie unser Gehirn überhaupt arbeitet, und wie unser Gehirn vernetzt ist. Der mittlere Teil ist dann ein sehr theoretischer Ausflug, da stellt der Autor seine Hypothesen vor, die er wiederum mit vielen Beispielen aus der Praxis belegt. Und zum Schluss wird dann der Titel „Descartes´ Irrtum“ abgehandelt.

>>Die Unterscheidung zwischen Erkrankungen des Gehirns und des Geistes, zwischen neurologischen Leiden und psychischen bzw. psychiatrischen Problemen ist ein unglückliches kulturelles Erbe, das tief in der Gesellschaft und Medizin verwurzelt ist. Sie offenbart eine fundamentale Unkenntnis der Beziehung zwischen Gehirn und Geist.<<

Wie arbeitet unser Gehirn? Was Neuronen tun, hängt von ihrer Nachbarschaft ab (Neuronenkomplexe). Was Systeme/Komplexe tun, hängt davon ab wie sich Komplexe gegenseitig beeinflussen. Und wie diese Beeinflussung aussieht, hängt vom Ort ab. Alles ist miteinander verwoben und vernetzt!

>>… daß Vorstellungsbilder vermutlich den Hauptinhalt unserer Gedanken ausmachen, unabhängig davon …, ob sie einen konkreten Gegenstand gelten, einen Prozeß mit dem Gegenstand, oder ob sie mit Wörtern/Symbolen zu tun haben.<<

Evolution:
- der älteste Entscheidungsapparat für fundamentale biologische Regulation
– propft einen Apparat für persönliche und soziale Bereiche auf
— propft abstrakt - symbolische Operationen auf –> künstlerisches, wissenschaftliches Denken. Nichts geht ohne das andere!

>>Für uns gab es also zuerst das Sein und erst später das Denken. Und auch heute noch beginnen wir, wenn wir auf die Welt kommen und uns entwicklen, zunächst mit dem Sein und fangen erst später mit dem Denken an.<<

Es gibt keine Trennung zwischen Körper und Denken/Vernunft. Ohne einen Körper, gäbe es diese höheren Gedanken nicht! Das hat Damasio in langen Untersuchungsreihen herausgefunden, und alles spricht auch für diese Hypothese - aber letztendlich gibt es dafür noch keine belegbaren Beweise, weil das Warum leider noch fehlt. Das Warum - warum fühlen wir überhaupt, es sind nicht nur die Neurotransmitter die uns fühlen lassen, es gibt da noch mehr. Ich nenne es jetzt mal die Psyche, die aber nur körperlich zustande kommt, durch Erfahrungen und Vorstellungsbilder, sprich Erinnerungen, aber sich geistig ausdrückt. Sie entspringt quasi aus dem Körper!

Antonio R. Damasio ist Professor der Neurologie und leitet die Neurologische Abteilung der University of Iowa College of Medicine. Seine Forschungen zur Neuropsychologie von Sehen, Gedächtnis und Sprache und seine Forschungsergebnisse haben ihn zu einer international anerkannten Autorität gemacht. Er ist Träger des Beaumont-Preises und zusammen mit seiner Frau, der Neurologin Dr. Hanna Damasio, des Pessoa-Preises.

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Re: Damasio, Antonio - Descartes' Irrtum

Beitragvon mombour » 13.03.2012, 14:26

Den guten Damásio noch einmal von mir. :mrgreen:

António R. Damásio ist auf dem Gebiet der Neurologie eine international anerkannte Autorität und hat als Wissenschaftler eine sympathische bescheidene Haltung eingenommen. Er sagt, die Erkenntnisse der Neurobiologie und auch anderer Wissenschaften sind nicht mehr „als eine vorläufige Annäherung …. an denen wir uns eine Zeit lang erfreuen können, die wir aber aufgeben müssen, sobald bessere Erklärungen zur Verfügung stehen“. Das sollte auch das Grundprinzip der Wissenschaft bleiben. In bisher drei Büchern legt er aus neurologischer Sicht seine These nieder, der französische Philosoph Descartes habe mit seiner dualistischen Anschauungsweise über Körper und Geist unrecht. (Leib-Seele-Problematik). Die drei Bücher sind: 1) Descartes' Irrtum, 2) Ich fühle also bin ich, 3) Der Spinoza-Effekt.

Ausgehend von der Analyse des berühmten klinisch – neurologischen Falles von Phineas Gage möchte der Autor darlegen, dass vernünftiges Handeln ohne Gefühle nicht möglich ist und räumt auf diese Weise mit dem Vorurteil auf, man müsse Gefühl und Verstand auseinander halten. „Bestimmte Aspekte von Gefühl und Verstand sind unentbehrlich für rationales Verhalten.“ Der Bereich der Empfindungen nimmt einen großen Teil des Buches ein. Weiterhin stellt Damásio seine Hypothese der „somatischen Marker“ vor und stellt Descartes` Dualismus von Körper und Geist, Verstand und Gefühl, Biologie und Kultur in Frage.

Der neurologische Fall des Phineas Gage war damals im Jahre 1848 etwas besonderes, weil es der erste Fall gewesen war, bei dem eine Schädigung soziale Konventionen, moralische Regeln außer Kraft setzen ohne dass das Denken, der Intellekt und Wahrnehmung beeinträchtigt wurde. Nach einer Explosion durchbohrte dem Mann 1848 einen Eisenstange die linke Wange und die Schädelbasis, durchquerte anschließend den vorderen Teil des Gehirns und trat mit hoher Geschwindigkeit aus dem Schädeldach wieder aus. Auffallend war auch die Dissoziation bei Gage, das Missverhältnis zwischen seinem charakterlichen Verfall und der Unversehrtheit zahlreicher geistigen Fähigkeiten. Für die neurologische Forschung war es nun wichtig, andere Patienten mit Schädigungen in der präfrontalen Regionen zu finden, um zu sehen, ob die neurologischen Ausfälle sich dem Fall Gage ähneln. Und man hat sie gefunden. Damásio beschreibt vier Fälle aus dem 20. Jahrhundert, Patienten, die auch Probleme mit Entscheidungsprozessen hatten. Damásio selbst betreute solch einen klinischen Fall, einen Mann, der einen Tumor, ein Meningiom hatte, der das Gewebe des Stirnlappens beeinträchtigte, sodass bei der Operation auch Gewebe entfernt werden musste. Ein Meningiom ist zwar ein gutartiger Tumor, der sich aus den Meningen, der Hirnhäute, entwickelt, muss aber trotzdem entfernt werden, weil er Raum fordert. Dieser Patient erlebte privat ähnliche tragischen Umstände wie Phineas Gage. Dieser Patient litt auch an Gefühlsarmut litt. Die Ähnlichkeit mit Gage war frappierend, zeigten beide doch Störungen im Sozialverhalten und in der Entscheidungsfindung, ihr soziales Wissen aber nicht gemindert war. Obwohl die Quellenlage nicht viel darüber hergibt, litt auch Gage wahrscheinlich an Gefühlsarmut. Damásio verweist auf seine zur Schau gestelltes Selbstmitleid, bei dem ihn das Gespür für Peinlichkeit fehlte.

Es gibt noch eine andere Erkrankung, die Ähnlichkeiten mit der Phineas Gage-Matrix aufweist. Es handelt sich um Anosognosie. Bei dieser Diagnose erkennt der Patient seine eigene Krankheit nicht. António Damásio gibt uns ein plastisches Beispiel. Durch einen Schlaganfall ist jemand linksseitig gelähmt, der Betroffene erkennt aber überhaupt nicht dieses Problem, obwohl er z.B. seine linken Extremitäten gar nicht bewegen kann. Es ist aber nicht so, dass der betroffene seine Krankheit psychologisch verdrängt, ihm fehlt einfach die Fähigkeit, seine Erkrankung zu erkennen. Das dieses so ist, erkennt man daran, dass Patienten mit einer rechtsseitigen Lähmung nicht an Anosognosie leiden.

Bevor António R. Damásio erläutert, welche Arreale im Gehirn von Phineas Gage beschädigt waren, macht der Autor einen kleinen Exkurs in die Anatomie des Nervensystems. Der Leser dieses Buches braucht jetzt nicht fürchten mit unverständlichen Fachsimpeln gequält zu werden. Im Gegenteil. Damásio versteht es ausgezeichnet, einem Laien auf sehr anschauliche Weise zu erzählen, wie unser Gehirn und wie eine Nervenzelle aufgebaut ist. Wir lernen den Unterschied zwischen grauer und weißer Substanz kennen, Großhirnrinde, limbischer Cortex usw. Ich weiß noch, wie ich mich mit John C. Eccles abgequält habe, wenn er die Funktionsweise der Neuronen erklärt. Bei Damásio ist das eine Wohltat. Anschließend dann der Blick auf die Eisenstange, die den Schädel des Phineas Gage durchbohrte. Die Eisenstange beschädigte keine Areale, die für Sprache, Bewegung usw. zuständig sind, sondern die Verletzung konnte in die präfrontale Region ( ventromediale Region) bestimmt werden, diese Region eine wichtige Rolle für normale Entscheidungsprozesse zuständig ist. Nun wusste man Bescheid, warum sich Phineas Gages Persönlichkeitsstruktur gewandelt hatte. Die Erkenntnis, die daraus gezogen wurde, ist, dass ein Mangel an Gefühlen ursächlich für irrationales Verhalten sein kann.

António Damásio erläutert seine Ansicht über den Geist. Neuronale Aktivitäten müssen zu Vorstellungsbildern werden, zum Denken und Verhalten animieren, planende Handlungen bestimmen. Das sind an sich die Auswirkungen neuronaler Schaltkreise, die das zustande bringen, was wir als Geist bezeichnen. Selbstverständlich nimmt unser Geist auch Beziehung zur Umwelt auf und umgekehrt. Nun wollen wir noch wissen, was ein „cartesianisches Theater“ ist. Dieses ist eine Bezeichnung von Daniel Dennett aus seinem Buch „Philosophie des menschlichen Bewusstseins“, und meint den Irrtum, dass viele Menschen annehmen, das eine spezielle sinnliche Erfahrung in nur einer einzigen Gehirnstruktur verarbeitet würde. Das ist falsch und widerspricht neurologische Erkenntnisse. Im Gehirn gibt es keinen keinen speziellen Bereich, in dem gleichzeitig alle Sinnesmodalitäten verarbeitet werden. Mir fällt das Beispiel ein, ich sitze im Theater, auf der Bühne Ballett „Schwanensee“: Gleichzeitig höre ich Musik, sehe Bewegung, sehe Farbe (Bühnenbild, Kleidung der Tänzerinnen und Tänzer). Meine Sinne erfassen vieles, aber im Gehirn ist nicht nur eine spezielle Gehirnstruktur dafür verantwortlich, sondern es setzt eine neuronale Aktivität in verschiedenen Gehirnregionen voraus.

António R. Damásio unterscheidet zwischen Empfindungen, die mit Gefühlen in Verbindung stehen, bei vielen anderen das aber nicht der Fall ist. Empfindungen, die nicht aus Gefühlen entstanden sind, bezeichnet er als Hintergrundsempfindungen. Zuerst werden die Empfindungen der Gefühle betrachtet. Empfindungen können bei einem Menschen von außen betrachtet werden und von innen, z.B. Änderung der Herzfrequenz, Verkrampfung von Verdauungsorganen. Von Nervenendigungen ausgehend, von Haut, Blutgefäßen, Viscera (Eingeweide), willkürlichen Muskeln, werden die Veränderungen an das Gehirn übermittelt. Der Weg läuft über das Rückenmark zum Hirnstamm und gelangt bis zum Thalamus, und zieht über den Hypothalamus und limbische Strukturen weiter zu bestimmten somatosensiblen Rindenfeldern in den Bereichen von Insel und Schläfenlappen weiter. Neben einer neuralen Impulsweitergabe, werden während einer Gemütsbewegung Hormone und Peptide (Protein) in den Blutkeislauf ausgeschüttet und gelangen u.a. über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn. Wenn wir Empfindungen wahrnehmen werden wir Zeuge körperlicher Veränderungen, während uns Gedanken und bestimmte Inhalte durch den Kopf gehen.

Unter Juxtapositionen werden in diesem Kapitel zwei diverse Empfindungen verstanden, die eng beieinander liegen, d.h. wir können uns, auch wenn wir an erfreuliche Dinge denken, uns niedergeschlagen fühlen. Das Hintergrundempfinden ist unabhängig von Gefühlen. Es ist

Damásio hat geschrieben:...in Melodie und Rhythmus das Empfinden des Lebens selbst, das Empfinden des Seins.


(hier wird Wissenschaft zur Philosophie, fein).
Damásio erzählt uns auch wie Empfindungen entstehen.

Kommen wir nun zur Hypothese der somatischen Marker. Als Ausgangspunkt entwirft Damásio ein Szenario, was zu einer Entscheidung zwingt. Ein Großunternehmer trifft sich mit einem wichtigen Kunden, der zufällig der Erzfeind seines besten Freundes ist. Darauf reagiert unser Gehirn mit blitzartig ablaufenden Vorstellungsbildern. Das Gehirn arbeitet. Wie kommt der Großunternehmer zu einer Entscheidung? Er will seinen Freund nicht verlieren, will sich auch nicht ein gutes Geschäft durch die Lappen gehen lassen. Somatischen Marker sind körperliche Empfindungen, die wir bei Entscheidungsprozessen wahrnehmen, die unsere Entscheidung beeinflussen. Als Intuition können sie eine negative Entscheidung stoppen, eine gute Entscheidung unterstützen. Rationalität und Empfindung arbeiten Hand in Hand. Somatische Marker unterstützen unser Denken. Damásio geht davon aus, dass viele somatische Marker im Laufe der Erziehung und Sozialisation entstanden sind. Bei Soziopathen und Psychopathen, die kaltblütig handeln, werden somatische Marker nicht ausgebildet. Solche Menschen können morden, ohne mit der Wimper zu zucken. Das sei bemerkt, um die Bedeutung unsere Empfindungsfähigkeit zu würdigen. Bei Menschen wie Phineas Gage, bei denen eine Hirnschädigung in den präfrontalen Rindenfeldern vorliegt, haben auch keine somatischen Marker. Die neuronale Funktion ist also ausschlaggebend. Somatische Marker können auch verdeckt wirken, wenn sie nicht in unsere Aufmerksamkeit rücken.

Kommen wir noch einmal auf das Verhältnis von Geist und Körper zurück:

Damásio hat geschrieben:Zwar vertrete ich die Auffassung, dass der Geist aus Aktivitäten in neutralen Schaltkreisen entsteht, meine aber auch, dass viele dieser Schaltkreise während der Evolution durch funktionelle Bedürfnisse des Organismus gebildet wurden und dass normale geistige Funktionen nur möglich sind, wenn in diesen Schaltkreisen grundlegende Repräsentationen des Organismus vorliege, und wenn sie fortlaufend die Zustände des Organismus verfolgen.


Aus diesem Zitat ergibt sich schon, das Damásio dem Dualismus nicht erlegen ist. Da auch die Umwelt auf unseren Körper und Geist einwirkt, können wir im Sinne Damásios zusammenfassen: Unser Dasein besteht aus einer Wechselwirkung von Körper, Geist und Umwelt. Dieses wird im Buch postuliert und ist auch völlig logisch. Ohne einem Gehirn funktioniert der Körper nicht, ohne Umwelt ist unser Dasein unvorstellbar, ein Gehirn ohne Körper kann nicht funktionieren.

Das Buch ist ohne Einschränkungen unbedingt zu empfehlen.
:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
Liebe Grüße
mombour
Thomas Hardy: Herzen in Aufruhr
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mombour
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