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Jaspers, Karl – Nietzsche und das Christentum




Jaspers, Karl – Nietzsche und das Christentum

Beitragvon tom » 17.06.2007, 17:32

ZUM BUCH:
Scharfsinnige Analysen und Bemerkungen zum Verhältnis zwischen Nietzsche und dem Christentum

EINIGE GEDANKEN:
Ein nicht seitenumfang-, aber inhaltsreiches Buch zu diesem Thema werde ich nicht in einige Worten zusammen fassen können (zumal ich es auf Französisch gelesen habe und somit nicht die gesamte Terminologie auf Deutsch parat habe), doch Jaspers führt in das Thema ein, indem er mit der einfachen Feststellung beginnt, dass es zunächst einmal wirklich ein „Verhältnis“, eine Beziehung Nietzsches hin zum Christentum und zu Christus selber gab. Geboren in ein stark geprägtes Umfeld hinein war sein(Nietzsches) Leben zu einem großen Teil Auseinandersetzung mit der christlichen Religion. Einige mag es erstaunen, wenn Jaspers neben dem ja offensichtlich virulenten und fast aggressiven Nietzsche auch den Christusbewunderer vorstellt, der von so manchen Aspekten des Auftretens Jesu (nach SEINEM Verständnis) beeindruckt und getroffen war.

In einem zweiten Teil des Essay geht Jaspers intensiver darauf ein, inwieweit das Denken Nietzsches christlichen Grundgedanken folgt, selbst in einer Art „Gegenreaktion“. Denn auch die Negation steht in direktem Verhältnis zum Kritisierten und Hinterfragten. Diesen Teil fand ich persönlich „schwieriger“ und nicht so lesbar wie die anderen. Dieses leichte Manko wird wettgemacht durch eine Zusammenfassung am Ende jenes Kapitels.

Den dritten Teil fand ich selber am Gelungensten, denn Jaspers versucht, Grenzen und Ausblicke über die „neue“ Philosophie Nietzsches zu geben. Dort sind viele sehr gute, hilfreiche Bemerkungen. Diese helfen, sich einerseits durch die Fragestellungen und Ansätze des Philosophen in Frage stellen zu lassen und gleichzeitig doch nicht Fuß zu verlieren vor diesem wortgewaltigen, sich oftmals ja auch widersprechenden und manchmal einseitig werdenden Denker.

Ich denke, dass dieses Buch NICHT eine Einführung in das komplette Denken von Nietzsche ist, sondern den schon etwas mit dem Werk Vertrauten ein paar Hilfen gibt, wie er zu Christus steht, wie sein Werk in gewisser Weise Reaktion ist (auf ein Christentum) und wie wir kritisch, aber auch sich fragend, sein Werk aufnehmen können.

:stern: :stern: :stern: :stern:

ZUM AUTOR:
Karl Theodor Jaspers (* 23. Februar 1883 in Oldenburg; † 26. Februar 1969 in Basel) war ein deutscher Psychiater, der als Philosoph weit über Deutschland hinaus bekannt wurde. Er wurde 1967 Schweizer Staatsbürger. Jaspers gilt als herausragender Vertreter der Existenzphilosophie, die er vom Existentialismus Jean Paul Sartres strikt unterschied. Er war zunächst Lehrer und anschließend lebenslanger Freund von Hannah Arendt, mit der ihn auch ein jahrzehntelanger Briefwechsel verband. Auch mit Martin Heidegger stand er in Briefwechsel, der - in der Zeit des Nationalsozialismus unterbrochen - nach dem Krieg nur spärlich war. (nach Wikepedia)


Vielleicht darf ich auch noch auf einen (unter anderen) Thread im BT hinweisen, in dem wir uns über Nietzsche austauschten. Der Tom war ich...: http://www.buechertreff.de/thread.php?t ... 617b1379fd

Broschiert: 72 Seiten
Verlag: Piper Verlag GmbH; Auflage: Neuausg. (1985)
ISBN-10: 3492005780
ISBN-13: 978-3492005784
tom
 

von Anzeige » 17.06.2007, 17:32

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Beitragvon Krümel » 17.06.2007, 18:44

Ich möchte etwas zu Jaspers hier widergeben.

Im Klassiker-Forum einige und auch der Professor Phil. aus meinem Antiquariat haben folgendes zu mir gesagt: Und zwar dass Jaspers so ziemlich der einzige ist, der Nietzsche mit Gott verbinden möchte. Er würde die Werke von Nietzsche so lesen und deuten, das es irgendwie passt. Im Klassiker-Forum hat man mir das ziemlich krass an den Kopf geworfen, weil ich persönlich auch lieber einen Nietzsche sehen würde, der an eine Form von Gott glaubt, als dass er den Menschen zum Gott macht. Der Professor findet Jaspers Sicht interessant und neu, empfiehlt es aber nicht dem Anfänger sondern dem Fortgeschrittenen.

Ich persönlich mag die Philosophie (wenn ich das überhaupt sagen darf, also das, was ich davon bisher verstanden habe) von Nietzsche/Schopenhauer, meilenweit auseinander driften wir in der Frage nach Gott.
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Beitragvon tom » 17.06.2007, 22:37

Ja, Heidi, ich weiss nicht, inwieweit ich meine Gedanken zu diesem Thema äussern sollte im Besprechungsfred. Ich habe ihn ja recht kurz gehalten und inhaltlich nicht soviel gesagt.

ABER natürlich habe ich auch eine Meinung dazu. Diese könnte aber falsch verstanden werden. Sehr gut kann ich nachvollziehen, wenn Dir Dein Antiquariatsbekannter sagt, dass diese Fragen was für Fortgeschrittene sind. Das Problem ist, dass das natürlich wieder mal die Frage aufwirft, inwieweit man über alles mit allen reden kann. Schaue Dir bitte meinen Beitrag im BT von vor eineinhalb Jahren dazu an. Das waren Andeutungen.

Ich bin mir recht sicher, dass Nietzsche zumeist nicht richtig verstanden wird. Ich habe NICHT den Gedanken, dass ICH ihn nun verstanden hätte, aber ich weiss, dass es nicht so einfach ist, ihn z.B. als Gottesverächter und -vernichter hinzustellen, etc.
Was er - und damit ähnelt er gewissen Propheten - aber m.E. tut, ist ein BILD, einen Götzen, ein von unserer Hand, unserem Denken erstelltes Konstruktum zu zerstören. An dieser Stelle wollte er nicht eine riesengrosse Leere setzen... In manchen Passagen ahnt man, wie er einen aufrechten, liebenden, sich selbst vergessenen Menschen (aber nicht "Sklaven") sucht. In Jesus sieht er, zumindest in vielen Passagen, diesen Menschen in seiner grösstmöglichsten Vollkommenheit.

Wichtig bei Jaspers Analysen scheint mir, dass er klar herausstellt, inwieweit Nietzsche nicht ein eindeutiges, absolut klares Lehrgebäude hinterlassen hat, sondern eher aphoristische Einsichten, Überlegungen. Manche ähneln mehr Hymnen und großspurigem Pathos als nüchternen Gedanken. Diese Splitter widersprechen sich teils. Man kann mit ihnen auch anfangen, was man will (mit bösem Willen).
Also: mit Vorsicht und Behutsamkeit geniessen! Ich werde übrigens diesen Beitrag nicht im BT posten: ich sehe gut, dass Heidis Feststellung, "einen auf den Deckel zu bekommen", auch da passieren könnte.
tom
 

Beitragvon Krümel » 18.06.2007, 10:11

tom hat geschrieben:Ich bin mir recht sicher, dass Nietzsche zumeist nicht richtig verstanden wird. Ich habe NICHT den Gedanken, dass ICH ihn nun verstanden hätte, aber ich weiss, dass es nicht so einfach ist, ihn z.B. als Gottesverächter und -vernichter hinzustellen, etc.
Was er - und damit ähnelt er gewissen Propheten - aber m.E. tut, ist ein BILD, einen Götzen, ein von unserer Hand, unserem Denken erstelltes Konstruktum zu zerstören. An dieser Stelle wollte er nicht eine riesengrosse Leere setzen... In manchen Passagen ahnt man, wie er einen aufrechten, liebenden, sich selbst vergessenen Menschen (aber nicht "Sklaven") sucht. In Jesus sieht er, zumindest in vielen Passagen, diesen Menschen in seiner grösstmöglichsten Vollkommenheit.


Du spricht mir damit von der Seele, so empfinde ich es auch, wenn ich gewisse Passagen von Nietzsche lese. Er zerstört das Götzenbild, und zwar ziemlich krass, vehement!
Er sagt ja auch, er möchte nicht als Meister gehalten werden, und nur dumm nachgeschwatzt werden, sondern JEDER soll sich seine individuellen Gedanken dazu machen. Er möchte ja auch, dass jeder sich SELBER wird.
So entsteht es zwangsläufig, dass einige dann die Leere empfinden, Atheist, andere an stelle von Gott den Übermenschen, und wieder andere, die Leere mit einer Form von Gott füllen.
Nietzsche ist sehr persönlich, stimmt, so was kann man eigentlich nicht öffentlich im Netz schreiben :wink:
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Beitragvon tom » 18.06.2007, 17:14

Wenn das Gôtzenbild der falschen Sicherheiten zerschlagen wird entsteht zwangsläufig zunächst eine Leere, ein Freiraum. Es gilt ihn einerseits auszuhalten, um ihn nicht zu schnell mit neuen Götzen zu füllen; andererseits in diesem Aushalten eine neue Art von Fülle zu entdecken. Leider sehen viele nur den "zerschlagenden" Aspekt... Vielleicht war es Nietzsche auch noch nicht gelungen, schon - bzw. noch mehr - die auf die Zerstörung folgende positive Aubauarbeit herauszustellen.
tom
 

Beitragvon Krümel » 18.06.2007, 17:23

tom hat geschrieben:Wenn das Gôtzenbild der falschen Sicherheiten zerschlagen wird entsteht zwangsläufig zunächst eine Leere, ein Freiraum. Es gilt ihn einerseits auszuhalten, um ihn nicht zu schnell mit neuen Götzen zu füllen; andererseits in diesem Aushalten eine neue Art von Fülle zu entdecken. Leider sehen viele nur den "zerschlagenden" Aspekt... Vielleicht war es Nietzsche auch noch nicht gelungen, schon - bzw. noch mehr - die auf die Zerstörung folgende positive Aubauarbeit herauszustellen.


Stimmt, hm, klar, so hatte ich das auch noch nicht durchdacht, logisch :idea: :thumleft:
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