Eine Erzählung in Form eines Tagebucheintrags. Ein Herbsttag in Rom. Natürlich frage ich mich inwieweit diese Erzählung autobiografisch ist, inwieweit fiktiv. Wahrscheinlich trifft beides zu. Der Fischer Verlag kommentiert, Septembertag sei „ein Teil des wichtigen autobiografischen Werks der großen Nachkriegsautorin“. Natürlich könnte es sein, dass sie als Kind im Chiemsee wirklich beinahe ertrunken wäre, wie von der Ich-Erzählerin mitteilt wird, doch wissen können wir es nicht. Trotzdem, typisch ist doch, dass wir in diesem Büchlein nicht an der Theologie vorbeikommen, auch wenn sie hier nur zaghaft, und das zum Wohle dieser Erzählung, angetastet wird. Die Autorin schrieb Romane über Maria Magdalena, Petrus Abaelardus und eine Fiktion nach dem Leben des Heiligen Franziskus. In ihrem zweiten Nina-Roman „Abenteuer der Tugend“ soll man nachspüren können, dass die Autorin kurz davor zum Katholizismus übergetreten war. Dieser Roman war nicht so erfolgreich wie der erste Nina-Roman „Mitte des Lebens“. 1999 schrieb sie eine Legende über das Leben Jesu und Mirjam aus der Sicht eines Hundes (über diese Romanidee, als ich das gestern gelesen hatte, spontan geschmunzelt habe, – was sich Autoren nicht alles so ausdenken[grins]). Ihr letzter Roman „Aeterna“, gemeinsam geschrieben mit Hans Christian Meiser, ist sehr mystisch/spirituell. Wie man sieht, hat sich die Autorin ziemlich oft mit religiösen Themen auseinandergesetzt.
Ich weiß wirklich nicht, ob man die gerade genannten Bücher zur religiösen Erbauungsliteratur rechnen darf. Ein wenig Erbauung finden wir im Septembertag. In dieser Hinsicht gefiel mir ein spirituelles Zitat am besten, welches sich nicht an eine bestimmte Religion krallt:
Luise Rinser hat geschrieben:Und eines Tages vielleicht werde ich es können: schweigend trösten, schweigend das Tor auftun, durch das groß der echte Trost eintritt, der nicht von mir kommt, den sie begreift.
Dieser Satz ist weise, obwohl nichts neues unter der Sonne. Wenn das Leid eines Menschen sehr groß ist, helfen manchmal tröstende Worte kaum. Hand halten und schweigendes Mitgefühl kann sehr tröstend sein. „Septembertag“, das deutet an, die Hälfte des Lebens ist überschritten, die Tage werden kürzer. Die Ich-Erzählerin empfängt Briefe, in denen Menschen von ihrem Leid erzählen, Krankheit und Enttäuschungen. Sie begegnet Menschen in Rom, alte Bekannte und Fremde, die sich in einer Ehekrise befinden oder auch eine Familie, die den bevorstehenden erwartenden Tod des Vaters verdrängen möchte. Sie atmet Herbstluft ein: „dürres Geäst, welkes Laub; und es riecht nach dunkel geröstetem bitterem Kaffee.“
Luise Rinser ist auf jeden Fall keine Sprachästhetin. Der Text, in dem nichts spektakuläres, aufregendes passiert, schenkt dem Leser sicher beruhigende Lesestunden und manch angenehme Gedanken. Allerdings findet man kein Lokalkolorit der Stadt Rom – kein Autolärm, kein Café, keine Bettler, keine römische Gassenatmosphäre. Straßennamen helfen da wenig. Der Septembertag könnte genauso gut in London oder Paris spielen. Wenn in einem belletristischen Werk kaum Handlung zu finden ist, dann muss das insbesondere durch Atmosphäre oder tiefgreifend philosophische Gedankengänge ausgeglichen werden, damit wirklich Saft in die Erzählung kommt. Trotzdem wäre es meiner Ansicht nach unfair, dieses Büchlein unter Verrisse zu degradieren, weil sprachlich doch bemüht und das Lesen des Buches doch ein angenehmer Fluss ist. Der Schluss der Erzählung ist allerdings eine Katastrophe, die ich allerdings mit einem sympathischen Lächeln ertragen habe: Solch religiöse Passagen können nur gut wirken und gänzlich vom Verdacht des Kitsches befreit sein, wenn ein grandioser Sprachästhet am Werke ist.
Liebe Grüße
mombour