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Tyler, Anne - Kleine Abschiede




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Tyler, Anne - Kleine Abschiede

Beitragvon marilu » 08.05.2008, 06:00

Originaltitel: The Ladder of years

Eine zufällige Begegenung im Supermarkt lässt Delia Grinstead über ihr bisheriges Leben nachdenken. Ihr Leben als Tochter, Mutter, Ehefrau zieht vor ihren Augen vorbei. Sie beschleicht das Gefühl, dass sie sich selbst und ihren Daseinszweck schleichend verliert: ihr Vater ist tot, die pubertierenden Kinder nehmen sie kaum noch wahr und ihr Mann Sam ist - nunja, er ist der immer gleiche Mann an ihrer Seite.
Nach einem amourösen Intermezzo ändert Delia während eines Sommerurlaubs spontan ihren scheinbar vorgegebenen Lebensweg: aus einem Spaziergang am Strand wird eine Flucht.
Als sie in dem Örtchen Bay Borough strandet, will sie anfangs nur für eine Nacht bleiben und mietet sich ein Zimmer. Ohne es bewusst zu steuern, findet sie sich aber bald mit einer Arbeit als Sekretärin wieder, schafft sich eine neue Garderobe und neue Verhaltensweisen. Meidet sie auch bewusst enge Freundschaften, kann sie dennoch nicht verhindern bald eine beliebte Dorfbewohnerin zu werden. Ihr Freundeskreis weitet sich weiter aus, als sie die Stelle wechselt und als Haushälterin den Schuldirektor Joel Miller bei der Betreuung seines Sohnes Noah zu unterstützen.

Dass ihre Familie nur in begrenztem Maße nach ihr sucht und sie nicht bittet heimzukommen, enttäuscht sie und bestätigt sie in ihrer Annahme, nicht gebraucht zu werden. Doch die Heirat ihrer Tochter gibt dem Geschehen eine Wendung...


Wo Anne Tyler drauf steht, ist auch Anne Tyler drin. Die Handlung in "Kleine Abschiede" spielt wieder im Mittelklassemilieu von Baltimore, Hauptperson ist eine Mutter mittleren Alters, deren Familie ihr Mittelpunkt ist. Häufig finden sich Stellen, die man so oder ähnlich selbst halb (un)bewusst empfunden hat und Entscheidungen treffen musste. Anne Tylers Schreibstil zieht einen wieder in die Geschichte und geht an Herz und Geist. In Delias Berufswahl und gegenüber ihren Handlungen und Gedanken liegt eine feine Ironie, die sie liebenswert macht. Man begegnet einem nicht perfekten Menschen, dessen Leben aus der Bahn gerät. Statt zu jammern oder zu erstarren, befeit sich Delia aus ihren Zweifeln - wenn auch auf recht unorthodoxe Weise. Ein Jahr vergeht, indem man ihre Zweifel, Unsicherheit und Wandlung miterlebt. Ich habe allerdings gegenüber Delia die ganze Zeit eine Distanz behalten, was verhinderte so richtig in abzutauchen. Aber der Roman war gut genug, um mir einige schöne Stunden zu bereiten. Ein netter Schmöker mit Ansätzen zu mehr!

:stern: :stern: :stern: / :stern:

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Beitragvon Karthause » 08.05.2008, 06:55

Danke, marilu, dass du wieder mal Anne Tyler hier vorgestellt hast. Ich finde es schon eindrucksvoll, wie es ihr gelingt diese "normalen" Menschen zu skizzieren und die Charaktere so mit Leben zu füllen, dass man das Gefühlt hat, sie eigentlich schon ewig zu kennen. Ich werde dieses Buch bestimmt auch lesen, nicht gleich, aber irgendwann ist es ander Reihe. :wink:
Viele Grüße
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Beitragvon Coco » 08.05.2008, 07:26

Ist auch auf meine Wunschliste gewandert .... :D
Liebe Grüsse
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Beitragvon Wirbelwind » 08.05.2008, 23:11

Hallo marilu,
danke für die schöne Rezi. Ich habe es auch auf meine Wunschliste gesetzt.

Liebe Grüsse
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Beitragvon oczitania » 09.05.2008, 05:57

Die Beschreibung und dein Rezi sorgen dafür, dass das Buch auf meiner Wunschliste gelandet ist.
Vielleicht haben sie es sogar in der Bibliothek, ich werde heute Abend danach schauen. :-)
oczitania
 

Beitragvon Pippilotta » 30.07.2008, 18:27

Ich konnte auch mit diesem Buch von Anne Tyler nicht allzuviel anfangen. Ja, es wird eine typische amerikanische Familie beschrieben - ich sah sie direkt vor mir. Dennoch erscheint mir die Handlung des Buches alles andere als realitätsnah. Der Wunsch nach einer Flucht aus diesem anödenden Alltagsleben, das Delia führt, ist für mich nachvollziehbar, doch wie reibungslos und einfach diese Flucht gelingt, erscheint mir doch sehr an den Haaren herbeigezogen. Sie findet gleich Unterkunft und Arbeit, sogar eine Art Freundeskreis tut sich ihr auf. Das Buch bleibt leider oberflächlich und auch Anne Tylers ironisch-sarkastischer Humor konnte mich nicht wirklich überzeugen.

Aus der - durchaus interessanten - Grundidee hätte man meiner Meinung nach viel mehr machen können!

:stern: :stern: :stern:
Herzliche Grüße
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Beitragvon marilu » 31.07.2008, 11:54

Schade, Pippi, dass du wieder nicht mit Anne Tyler warm wurdest. Um ehrlich zu sein: besser wird's im Prinzip nicht werden. Die Romane, die du kennst, sind zwar nicht ihre besten, aber die Machart ist immer gleich. Endweder man mag den Stil oder mag ihn nicht.

Kleinlauter Kommentar:
...manchmal ist es doch auch gut herauszufinden, welche Autoren man beherzt ablehnen kann und nie mehr in die Hand nimmt. Mehr Zeit für Experimente, die hoffentlich mehr Erfolg zeitigen. :wink:
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Beitragvon Pippilotta » 31.07.2008, 14:43

ja, ich glaube, ich kann sagen - sie ist nichts für mich (aber eine 2. Chance wollte ich ihr jedenfalls geben). Irgendwie schade, die Ideen ihrer Bücher haben mich angesprochen und auch eure Rezis lese ich immer sehr gerne. Naja, andere Frauen haben auch gute Bücher geschrieben ... :wink:
Herzliche Grüße
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