Krümels-Bücherwelt ...

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Bradbury, Ray - Fahrenheit 451




Beitragvon tom » 20.01.2008, 13:36

Sybille hat geschrieben:Wahrhaftigkeit würde ich hier definieren als die Übereinstimmung von Einstellung/Gedanken mit dem Reden und Handeln oder wie Du es treffend ausdrückst:

wolves hat geschrieben:Endlich konnte er das aussprechen, was solange in ihm gebrodelt hatte.


wolves hat geschrieben:Was hält ihr eigentlich von Faber?
Kann ich jetzt so ohne Buch leider nichts zu sagen... (Ich sag´s ja immer, man sollte am besten eine riesige Bibliothek im Haus haben... :mrgreen: )


Stimme Euren Gedanken zur Wahrhaftigkeit zu. Wie zerstoererisch kann das Verstecken seiner Ueberzeugungen sein. Da kann das Auffliegen manchmal eine echte Befreiung sein! Endlich darf ich sein/tun, was ich denke und versteckt bin.

Faber koennte man eventuell in jener Perspektive als jemanden sehen, der schon lange klar sieht und sich auch irgendwie unbeholfen vorbereitet, doch dem der letzte Mumm fehlt, um sich zu outen und Risiken einzugehen. Sich Entscheiden heisst, ein Risiko einzugehen. Dank Montag wird er eine gewisse Passivitaet ueberwinden...

Clarisse als Lockvogel hinzustellen zerstoerte mir doch ziemlich was an Hoffnung... :oops: Kann man sich ihre Natuerlichkeit, ihre Liebe fuer Natur etc, wirklich als Verstellung, bzw, Falle vorstellen? :frost:
tom
 

von Anzeige » 20.01.2008, 13:36

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Beitragvon Sybille » 20.01.2008, 19:34

Hm ja ich sehe schon, ich werde mir demnächst das Buch aus der Bücherei holen um das für und wider abzuwägen ... Kann aber noch ein Weilchen dauern, denn ich bin demnächst anderweitig ziemlich beansprucht.
Liebe Grüße, Sybille
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Beitragvon Sybille » 26.01.2009, 18:39

Ich habe "Fahrenheit 451" in den letzten Tagen wiedergelesen und möchte mich nochmal zu unserer damaligen Diskussion melden.

Ich habe mich seinerzeit richtig daran erinnert, dass es schon auf dem Heimweg nach dem ersten erzählten Einsatz war, dass es einen Hinweis auf das Versteck in der Lüftungsklappe gibt. Hier wird auch das Treffen mit dem späteren Mentor Faber erwähnt, dass von einem Jahr stattgefunden hat. Was das für ein Gespräch war bleibt an dieser Stelle noch vage.
Ende des ersten Teils erzählt Montag seiner Frau, dass er die Bücher im Laufe eines Jahres beiseite geschafft hat. Montags Wandlung hat sich also innerhalb eines Jahres vollzogen. Faber war möglicherweise der Auslöser, Clarisse hat als "Brandbeschleuniger" gewirkt.

Etwas schwieriger zu klären ist die Frage ob Clarisse ein Lockvogel ist oder nicht. Wahrscheinlich hast Du recht, Tom und es ist nicht vom Autor nicht so gemeint. Allerdings habe ich sofort verstanden, warum mir Zweifel kamen.
Es geht schon damit los, wie Clarisse vom Erzähler eingeführt wird: Montag hat schon seit ein paar Tagen merkwürdige Ahnungen, als ob ihn jemand beobachtet, auf ihn wartet und dann steht plötzlich Clarisse da, die neu zugezogene Nachbarin. Der Text suggeriert also, dass wohl Clarisse schon ein paarmal auf Montag gewartet hat. Warum?
Schon die vierte Frage, die Clarisse stellt, ist die ob Montag Bücher liest. Das finde ich in so einer Gesellschaft ungeheuerlich, wenn sie immer so "dreist" wäre, hätte sie doch ein totatlitärer Staat schon längst Hop genommen. Dem fällt immer was ein...
Nach wenigen Wochen ist Clarisse verschwunden, es heißt sie sei totgefahren worden, ihre Familie weggezogen. So voller Trauer, gerade hergezogen und schon wieder weggezogen? Gut möglich dass Bradbury dies nur so eingerichtet hat, weil die Familie als Katalysator ausgedient hat und Montag so nicht die Möglichkeit hat zu verifizieren, was mit Clarisse geschehen ist... Oder vielleicht soll das auch nahelegen, dass die gesamt Familie eliminiert worden ist.
Zu Beginn des dritten Teils sagt Beatty: "Du bist doch nicht etwa dieser kleinen Schlampe mit ihren Sprüchen aufgesessen? Blumen, Schmetterlinge, Herbstlaub, Sonnenuntergang, ach herrje! Haben wir alles in der Kartei notiert." Woher weiß Beatty das? Die Totalüberwachung scheint es dort nicht zu geben, sonst hätten sie längst auch über Faber etc. Bescheid gewusst. Woher weiß also Beatty die kleinen Details aus den Gesprächen?
Naja, wahrscheinlich sind das alles nur Unstimmigkeiten die der Autor übersehen hat, aber bei mir haben sie offenbar Zweifel an der Integrität von Clarisse geweckt.
Liebe Grüße, Sybille
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Beitragvon tom » 26.01.2009, 19:31

Schön, dass Du nach langer Zeit nochmals den Fred hochholst!

Sybille hat geschrieben:Ich habe mich seinerzeit richtig daran erinnert, dass es schon auf dem Heimweg nach dem ersten erzählten Einsatz war, dass es einen Hinweis auf das Versteck in der Lüftungsklappe gibt. .


Was wiederum mein Lesen nun relativiert..., denn wo Du Recht hast, hast Du Recht. Ich kann zu meiner Entschuldigung höchstens vorbringen, dass ich das Buch auf Englisch gelesen habe..., und mir also Sachen entgangen sind!

Sybille hat geschrieben:Naja, wahrscheinlich sind das alles nur Unstimmigkeiten die der Autor übersehen hat, aber bei mir haben sie offenbar Zweifel an der Integrität von Clarisse geweckt.


Deine Sätze wecken nun meine Zweifel. Ob ich auch hier zu schnell gelesen oder falsch vertanden habe? Die Perspektive einer Verschwörung, eines Plans gegen Montag, von Clarisse macht mich aber ganz schwindlig und mulmig!
tom
 

Beitragvon Sybille » 28.01.2009, 09:52

Das verstehe ich, Tom. Es verstört einen zutiefst, dieser Zweifel an Clarisse. Aber wie gesagt, vielleicht sind das ja nur vergessene Unstimmigkeiten. Vielleicht hat er das aber bewusst n der Schwebe gelassen, genauso wie unklar ist ob Beatty sterben wollte oder ob Faber den Krieg überlebt hat, ob es gelingen wird eine neue, bessere GEsellschaft aufzubauen...
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Beitragvon Dr.Who » 05.04.2009, 17:40

Zu aller Vorderst bin ich froh das es diesen Thread hier gibt da ich ebenfalls die englische Fassung gelesen habe und auch mir so die eine oder andere Kleinigkeit entgangen ist. Eigentlich wurde ja schon alles, oder zumindest vieles, hier gesagt so das ich lediglich einige eigene Eindrücke beisteuern möchte.

Ganz, ganz entfernt erinnert mich das Büchlein an den Film Matrix in dem Morpheus seinen Schützling Neo ebenfalls vor die Wahl stellte in der Matrix zu bleiben und, praktisch, dumm zu sterben oder aus ihr auszubrechen und den Kampf gegen sie aufzunehmen. Der Rest war Kinogeschichte und 4 Oscars wert.
Also solche Handlungen hat und wird es auch immer wieder geben. Was die Leser in den 50ern jedoch erstaunt haben dürfte war der zutiefst menschliche Ansatz des Buches. Fern aller Unterhaltungs- und Schundheftchen (frühe 60er) über UFOs und grüne Männchen vom Mars kommt Bradbury mit einer Geschichte um die Ecke die zusehens, Jahrzehnt für Jahrzehnt, von der Realität eingeholt wird.
Was damals noch “Zukunft” genannt wurde kann heute höchstens noch ”Parallele Realität” genannt werden.
Anfänglich stellte ich mich auf ein Zukunftsszenario ein musste jedoch schnell feststellen das Bradburys Annahme lediglich ein kleiner Knick, ein Hauch einer Abweichung, im Gefüge der Zeit und mit einem mal das Jahr 19xx nicht nur möglich ist sondern es mich schon gewundert hat das wir nicht schon längst so weit sind. Die besten Voraussetzungen dazu hat ja unsere Gesellschaft.

Wäre es somit falsch den Fortschritt im Buch als solches zu benennen? Ich glaube dafür haben wir das Buch in manchen Dingen schon zu sehr eingeholt. Dennoch, der Fortschritt in Fahrenheit 451 schien mir manchmal ein eigenes Wesen zu sein. Ein Ereignis das ohne den Menschen auskommt, das den Menschen gar nicht nötig hat um sich weiter zu vollziehen. Sagt man Fortschritt so denkt man dabei an Dinge die unser Leben angenehmer und, wie in den letzten Jahren, einfacher machen sollten. Gerade das Gegenteil scheint mir in Bradburys Erzählung der Fall zu sein. Alles ist kalt und unfreundlich, schrill, penetrant und dumpf. Alles ist nach Routinen geordnet, selbst das sterben unterscheidet sich grundlegend von dem in unserer Zeit.

Beunruhigend die Tatsache das in dem Buch keine Lösung gegeben wird auf eine Frage die keiner stellt.
Warum?
Warum ist alles so wie es ist?
Wie schon richtig erwähnt gibt es keinen Big Brother der auf einen schaut und gerade das rückt das Buch in ein beunruhigendes Licht der Ganzheitlichkeit. Nein, kein Böser…wir alle sind die Bösen.
Dies ist, wie mir scheint, auch der einzige Weg so ein Buch zu schreiben, die Unterhaltung zurückzunehmen und statt dessen zu versuchen den Menschen etwas zu vermitteln. Aber auch hier ist kein Zeigefinger der uns eine Richtung weist. Genauso wenig wie etwas Böses in dieser Welt existiert genauso muss sich der Leser das Gute daraus selbst suchen.

Faber hatte schon Recht als er, sinngemäß, meinte:
“Ich rede nicht über Dinge, ich rede über den Sinn der Dinge.”
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Beitragvon Nerolaan » 05.04.2009, 23:34

Klingt ja alles sehr schön Schatzi..aber...mochtest du es, oder nicht? :? Das kann ich nicht sooo rauslesen und ich muss das ja wissen, wenn ich dir in Zukunft wieder Bücher aufdränge... :wink:
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Beitragvon Dr.Who » 06.04.2009, 08:10

So alls kleines, eigenständiges, Buch mochte ich es recht gerne. Ich weiss nur noch nicht wie es im Vergleich zu "1984", "Brave new World" oder auch "Anthems" abschneidet.
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Beitragvon Nerolaan » 06.04.2009, 11:46

Gut, dass das Buch im Vergleich vielleicht dann "schlechter" abschneidet kann ich mir auch gut vorstellen, ist ja auch nicht schlimm :-) Zumal ich denke, dass Fahrenheit im Plot ein paar Schwächen hat.
Aber dann weiß ich ja, dass ich dir in Zukunft noch mehr Empfehlen kann :wink:
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Beitragvon Dr.Who » 06.04.2009, 18:29

In dem Zusammenhang möchte ich gerne bald zu "Anthem" von Ayn Rand greiffen. Dieses Büchlein schlägt in eine ähnliche Kerbe wie Fahrenheit und ich bin gespannt wie es sich im Vergleich zu dem hier genannten schlägt.

Hat vielelicht schon jemand "Die Stadt der träumenden Bücher" gelesen? Moers lehnt sich mit seinen Buchlingen ja auch sehr stark an Bradbury an :wink:
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Beitragvon Pippilotta » 24.05.2009, 21:51

Hier hat sich ja wirklich eine sehr, sehr interessante Diskussion entwickelt.

Science Fiction ist ja nicht unbedingt mein Genre. Das ist ein Grund, warum dieses Buch sehr lange auf meinem SUB vegetierte. Nicht zuletzt aufgrund dieses Threads hier habe ich mich nun doch aufgerafft, und bereue es nicht.

Anfangs fiel es mir schwer, die Science-Fiction-Elemente als „gegeben“ hinzunehmen, nicht zu hinterfragen. Da tun sich geübte SF-Leser wahrscheinlich leichter. Doch wenn man sich u.a. an automatisierte Spürhunde und menschenjagende Maschinen gewöhnt hat, kann man sich richtig auf das Buch einlassen.

Bemerkenswert finde ich die Tatsache, dass dieses Buch im Jahr 1953 erstmals erschienen ist. Es drängt sich natürlich die Frage auf, inwieweit sich diese Utopie bereits bewahrheitet hat, und die Antwort ist eigentlich eine beängstigende. Das Fernsehen hat in der Tat die Bücher verdrängt (zum Glück nicht ganz), leinwandgroße Fernsehwände in den Wohnzimmern mit 24-Stunden-Berieselung sind auch keine Utopie mehr. Erwähnenswert sei vielleicht auch, dass diese Form des "totalitären Staates" nicht nach "Big-Brother-Manier" entstanden ist, sondern sich in der Gesellschaft entwickelt hat, aus Bequemlichkeit, aus Langeweile, aus Faulheit, "hausgemacht" also.

Mit dem Gedanken, dass Clarisse Lockvogel war, kann ich mich nur sehr ungern anfreunden, dagegen sträube ich mich. Rein von der Story her macht es natürlich Sinn und könnte es durchaus so gewesen sein, da gebe ich Sybille absolut Recht. Es entspricht eher nicht meiner höchstpersönlichen Auffassung von "Gut und Böse" in diesem Buch.

Hingegen bin ich schon der Meinung, dass Montag Beatty erschossen hat, und dass er im Nachhinein eher eine Ausrede erfindet, um sich selber nicht allzusehr zu belasten.

Alles in allem - nicht unbedingt ein literarischer Hochgenuss, sehr prägnant, sehr bündig - aber dennoch sehr, sehr lesenswert!

:stern: :stern: :stern: :stern:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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